Vernetzte Wenden in Berlin

Aus DER RABE RALF Juni/Juli 2024, Seite 3

Rohstoffwende, Energiewende, Wärmewende und Verkehrswende gehören zusammen

30 Menschen: 20 Autos – 20 Fahrräder – ein Bus. (Grafik: TUMI/Wikimedia Commons)

Wie alle Großstädte verbraucht Berlin weit mehr Ressourcen, als die Stadt selbst bereitstellen kann. Das zerstört die Umwelt, heizt die Klimakrise an und verschärft Ungerechtigkeiten – innerhalb der Stadtgesellschaft wie auch im globalen Maßstab. Wie können wir eine nachhaltige, global und lokal gerechte Stadt schaffen? Indem wir verstehen, wie die Rohstoff-, Energie-, Wärme- und Mobilitätswende zusammenhängen, und indem wir sie gemeinsam anpacken.

In den letzten Jahren hat Berlin schon verschiedene Strategien entwickelt, um sich diesen Herausforderungen zu stellen. Im Jahr 2019 hat das Abgeordnetenhaus eine „Klimanotlage“ anerkannt. Es gibt eine Nachhaltigkeitsstrategie, es gibt das Berliner Energie- und Klimaschutzprogramm (BEK 2030) mit Vorgaben für Gebäude und Verkehr und es gibt eine „Zero-Waste-Strategie“ zur Müllreduzierung. Doch wie weit ist die Stadt bisher damit gekommen?

Energiewende plus Rohstoffwende

Die Verbrennung von Kohle, Erdöl und Erdgas ist die wichtigste Ursache für die Klimakrise. Weil das unsere Lebensgrundlagen bedroht, müssen wir auf erneuerbare Energien umstellen, vor allem auf Wind- und Solarenergie. Wegen der dichten Besiedlung bietet der Stadtstaat Berlin wenig Potenzial für Windkraft (siehe Seite 7), anders als Brandenburg, das sich schon heute – rein rechnerisch – komplett mit Strom aus erneuerbaren Quellen versorgt.

Was Berlin aber noch sehr viel stärker nutzen kann, ist sein Solar-Potenzial. 78 Prozent der etwa 536.000 Gebäude in Berlin eignen sich dafür. Das ergibt eine Fläche von fast 46 Quadratkilometern, 15-mal so groß wie das Tempelhofer Feld. Bei einem Wirkungsgrad der Solarmodule von 19,5 Prozent ließen sich damit theoretisch rund zwei Drittel des heutigen Berliner Strombedarfs decken. Netter Nebeneffekt: Unter den Solarmodulen bleibt es im Sommer kühl.

Mit dem Programm „SolarPlus“ fördert das Land Berlin die Anschaffung einer Solaranlage für alle Berliner*innen. Auch Balkonsolarmodule bekommen bis zu 500 Euro Zuschuss. Das Programm gehört zum „Masterplan Solarcity“, mit dem „so schnell wie möglich“ mindestens ein Viertel des Berliner Stroms durch Solaranlagen erzeugt werden soll.

Was bedeutet diese Energiewende für die Rohstoffwende? Schließlich brauchen all die Solar- und Windkraftanlagen metallische Rohstoffe. Lebenszyklusanalysen des Luxemburgischen Instituts für Wissenschaft und Technologie (LIST) zeigen allerdings, dass erneuerbare Energien entlang des gesamten Lebenszyklus von der Rohstoffgewinnung bis zur Entsorgung nicht mehr Metalle benötigen als zum Beispiel Kohlekraftwerke.

Die Energiewende sollte aber den Rohstoffverbrauch reduzieren und nicht nur auf hohem Niveau stagnieren lassen. Deshalb ist es wichtig, Solar- und Windkraftanlagen so zu bauen, dass die Rohstoffe nach der Nutzung wiederverwertet werden können – und dies dann auch zu tun. Und natürlich muss unser Energiebedarf möglichst sinken, damit insgesamt weniger Anlagen erforderlich sind.

 Wärmewende gerecht und ökologisch

Zurzeit beruht die Berliner Wärmeversorgung zu einem Großteil auf fossilen Energieträgern. Auch die Fernwärme, die das Land Berlin gerade vom Vattenfall-Konzern zurückgekauft hat, verfeuert im Wesentlichen Erdgas und Kohle. Berlin hat das drittgrößte Fernwärmenetz Europas, fast die Hälfte aller Haushalte wird darüber versorgt. Anders als die Werbung suggeriert, ist Erdgas sehr klimaschädlich und seine Förderung richtet große Umweltschäden an. Doch das Erdgas einfach durch Biomasse, Müllverbrennung oder Wasserstoff zu ersetzen, ist auch nicht gut fürs Klima und für den Ressourcenschutz.

Mit 1900 Kilometern Länge hat Berlin das drittgrößte Fernwärmenetz Europas. (Grafik: PowerShift)

Viel besser ist es, Wärmepumpen einzusetzen, die vorhandene Wärme nutzen und diese mithilfe von (erneuerbarem) Strom auf das gewünschte Temperaturniveau hochheizen können. Mögliche Wärmequellen sind Abwärme aus Industrieprozessen und Rechenzentren, aus Bahntunneln und Abwasserkanälen, aus Flüssen, dem Erdboden oder Solarthermie. Der Senat arbeitet gerade an Potenzialstudien, um zu errechnen, wie viel Wärme auf diesem Wege gewonnen werden kann.

Mindestens genauso wichtig wie die Umstellung auf fossilfreie Energiequellen ist jedoch auch bei der Wärme, dass insgesamt der Verbrauch sinken muss. Das geht zum einen durch energetische Sanierung, zum anderen durch effizientere Heizsysteme. Elektronisch gesteuerte Gebäudeheizungen, aber auch sogenannte kalte Nahwärmenetze, die nur einige Gebäude oder ein Quartier mit Wärme versorgen, haben weniger Verluste und kommen mit geringeren Netztemperaturen aus als Fernwärmenetze, die (noch) auf Verbrennung beruhen.

Weniger Autos, mehr Platz für alle

Im Verkehrssektor zeigt sich besonders gut, wie einzelne Veränderungen gleich mehrere positive Effekte haben können – und umgekehrt, wie viele Probleme ungelöst bleiben, wenn man nicht auf das Ganze schaut.

Beispiel Auto: Benzin und Diesel sind immer noch wichtig für die Mobilität vieler Menschen. Der Umstieg auf Elektrofahrzeuge trägt dazu bei, den Verbrauch dieser Treibstoffe zu reduzieren, doch der Verbrauch von Flächen sowie von Asphalt und Beton bleibt hoch, der Bedarf an Metallen kann sogar ansteigen. Ähnlich verhält es sich mit den Gefahren für Leben und Gesundheit, die von Autos ausgehen.

Der Umstieg auf umweltfreundliche Verkehrsmittel wie Fahrräder und öffentlichen Nahverkehr senkt dagegen den Rohstoffverbrauch. Weniger und leichtere Fahrzeuge brauchen weniger metallische Rohstoffe und belasten Umwelt und Klima weniger stark.

Und das Rad muss auch nicht neu erfunden werden. Fahrräder existieren bereits – auch in Berlin gibt es sie in den meisten Haushalten, insgesamt etwa drei Millionen. Dennoch sind „nur drei Prozent der Straßen eigene Radwege, während dreizehnmal so viel Fläche, nämlich 39 Prozent, für fahrende Autos und 19 Prozent für parkende Autos reserviert sind“, hat der Verkehrsclub Deutschland (VCD) ausgerechnet. Damit verbrauchen Parkplätze in Berlin zehnmal mehr Fläche als Kinderspielplätze. Weniger Autoverkehr ist also auch eine Frage der Gerechtigkeit.

Das Radnetz soll laut Berliner Radverkehrsplan massiv ausgebaut werden, 2.700 Kilometer soll es umfassen. Allerdings sind davon erst 113 Kilometer fertig, also nicht einmal fünf Prozent. Sichere und durchgehende Fahrradwege helfen besonders Kindern, älteren Menschen oder Ungeübten, sich aufs Fahrrad zu trauen, Freude am Radeln zu entwickeln und ihre Unfallgefahr zu senken.

Und nun?

Nicht nur beim Klima, auch beim Ressourcenverbrauch leben wir über unsere Verhältnisse und außerhalb der planetaren Grenzen. Die gute Nachricht ist, dass sich beides zusammen lösen lässt: Eine echte Klimawende ist auch eine Rohstoffwende – und umgekehrt.

Neelke Wagner

Weitere Informationen: www.power-shift.de/rohstoffwende-berlin
Veranstaltung: Crashkurs klimagerechte Wärmenetze, 27./28. Juni, Prenzlau, www.power-shift.de/termine

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