Neues kommunales Eigentum

Aus DER RABE RALF Oktober/November 2018, Seite 20

Beginnt eine bodenpolitische Wende in Berlin?

Die Mieten in Berlin steigen immer weiter, Umzüge sind kaum noch möglich, Wohnungssuchende verzweifeln. Wer gekündigt oder gar zwangsgeräumt wird, verliert nicht nur die Wohnung, sondern auch das soziale Umfeld, denn in der Innenstadt ist es so gut wie ausgeschlossen, bezahlbare Wohnungen zu finden, und auch in den Randlagen der Stadt wird es eng.

Privatisiert: Die Deutsche Wohnen ist auch Eigentümerin von Bruno Tauts Hufeisensiedlung in Britz. Foto: David Kasparek, flickr.com/dave7dean/26628100866 (CC BY 2.0)

Das private Eigentum an Immobilien verliert zunehmend an Legitimation in einer Situation, in der die vom Grundgesetz geforderte Bindung des Eigentums an das Allgemeinwohl längst verloren gegangen ist. Dabei ist das Recht auf angemessenes Wohnen sowohl in den allgemeinen Menschenrechten als auch im UN-Sozialpakt verankert. Was als „angemessen“ zu gelten hat, wird sich auch an den Umgebungsbedingungen orientieren – eine Notunterkunft oder eine Parkbank sind jedoch mit Sicherheit nicht damit gemeint.

„Deutsche Wohnen enteignen!“

Um politisch Druck zu machen, ist ein Volksentscheid „Deutsche Wohnen enteignen!“ in Vorbereitung, im kommenden Frühjahr soll er starten. Laut Geschäftsbericht 2017 hat die Deutsche Wohnen mehr als 114.000 Wohnungen in Berlin – die meisten davon aus den Beständen ehemals öffentlicher Wohnungsgesellschaften. Das private Immobilienunternehmen steht symbolisch dafür, dass Häuser nur noch dazu dienen, die Rendite der Aktionäre zu bedienen. Der Volksentscheid möchte die Spekulation mit Wohnraum beenden und die Politik dazu bewegen, bei überzogenen Mieterhöhungen notfalls auch mit Enteignungen einzuschreiten.

Es sind vor allem die steigenden Bodenpreise, die institutionelle, aber auch private Anleger zur Spekulation einladen. In begehrten Lagen liegt der Marktwert eines Grundstücks oft deutlich über dem Wert des darauf befindlichen Hauses. Immerhin hat das Land Berlin seine Ausverkaufspolitik aufgegeben – zugunsten einer strategischen Immobilienbewirtschaftung. Grundstücke im öffentlichen Eigentum werden nicht mehr verkauft, sondern im Erbbaurecht vergeben. Die Erbbaurechtsnehmenden erwerben nur noch die bereits darauf stehenden Gebäude oder bauen neu auf dem für mehrere Jahrzehnte gepachteten Boden. Der Erbbauzins bietet den öffentlichen Kassen eine dauerhafte Einnahmequelle, und in der Vertragsgestaltung lässt sich die Nutzung der Immobilie verbindlich festlegen.

Bodenreform damals und heute

Diese Wende ist nicht zuletzt auf die Diskussionen am „Runden Tisch zur Neuausrichtung der Berliner Liegenschaftspolitik“ zurückzuführen, bei dem seit Ende 2012 stadtpolitisch Aktive, Politiker*innen, Mitarbeiter*innen von Senatsverwaltungen und Vertreter*innen der städtischen BIM (Berliner Immobilienmanagement GmbH) zusammenkommen. Die Sitzungen im Abgeordnetenhaus sind öffentlich, und dort werden auch regelmäßig Liegenschaftsfälle von Betroffenen vorgetragen, die damit öffentliche Aufmerksamkeit, mitunter auch Unterstützung bekommen.

Die Frage, ob Boden überhaupt privates Eigentum sein darf oder ob er nicht allen zusteht, ist nicht neu. Im Zusammenhang mit der Lebensreformbewegung seit Ende des 19. Jahrhunderts entwickelten sich auch bodenreformerische Ideen und Organisationen. Die Bestrebungen, den Boden der privaten Verfügungsmacht und Profiterzielung zu entziehen, waren jedoch damals häufg verbunden mit antisemitischen und völkischen Ideologien, wie beispielsweise Peter Bierl in seinem 2012 erschienenen Buch „Schwundgeld, Freiwirtschaft und Rassenwahn“ darlegt. Wer im Internet nach „Bodenreform“ sucht, findet vor allem Einträge zu Enteignungen in der Sowjetischen Besatzungszone (später DDR), wo direkt nach dem Zweiten Weltkrieg Nazis und Großbauern gleichermaßen enteignet wurden.

Stadtentwicklung von unten

In den aktuellen Diskussionen zur Bodenfrage in Berlin geht es nicht um landwirtschaftliche Flächen, sondern um Wohnimmobilien, Grundstücke für Gewerbe und soziale Projekte. Die BIM hält insgesamt 5,9 Millionen Quadratmeter Boden auf Vorrat im sogenannten Sondervermögen Daseinsvorsorge (SODA). Im Bezirk Kreuzberg-Friedrichshain soll ein Bodenfonds nach dem Muster der Community Land Trusts (CLT) entstehen (siehe Beitrag unten). Der bündnisgrüne Bezirksstadtrat Florian Schmidt, der 2012 auch den „Runden Tisch Liegenschaften“ mitinitiierte, hat mit einer Arbeitsgruppe erste Anforderungen an ein solches Vorhaben formuliert. Die Begleitung des CLT „mit weiterbildenden Maßnahmen, Informationsveranstaltungen und Machbarkeitsstudie“ wurde ausgeschrieben. Zur Unterstützung des Bezirks bei dieser „neuen gemeinwohlorientierten Stadtentwicklungsstrategie“ soll darüber hinaus eine strategische Plattform mit dem Namen LokalBau „eine enge Kommunikation mit der Öffentlichkeit und den zentralen Berliner Akteuren der Immobilienwirtschaft und den Initiativen“ aufbauen.

Dieser neue Umgang mit städtischem Boden verbindet sich mit dem Wunsch nach einer Demokratisierung und der stärkeren Einbeziehung von Nachbarschaften in die Stadtentwicklung. Dabei wird die Frage aufgeworfen, wer denn eigentlich das Öffentliche repräsentiert. So wichtig Unternehmen in öffentlichem Eigentum sind, so wenig werden sie in der jetzigen Form diesen neuen Anforderungen gerecht. Die sechs verbliebenen städtischen Wohnungsbaugesellschaften sind als privatwirtschaftliche GmbHs und AGs verfasst. Sie handeln oft wie profitorientierte Unternehmen und traktieren ihre Mieter*innen mit Mieterhöhungen und teuren Modernisierungen. Selbst vor Zwangsräumungen schrecken sie nicht zurück. Immer wieder muss die Politik mäßigend einschreiten. Auch Demokratie und Mitbestimmung der Mieter*innen lassen zu wünschen übrig.

Eine neue Bodenbewirtschaftung wird in neuen rechtlichen Strukturen eine stärkere Demokratisierung verankern und gleichzeitig Vorsorge treffen müssen, dass nicht diejenigen mit dem stärksten Durchsetzungsvermögen ihre Einzelinteressen darin verankern, sondern das Ziel einer dauerhaft günstigen Versorgung mit Wohn-, Gewerbe- und Projekträumen abgesichert wird.

Demokratischer und transparenter

Bei der Entwicklung neuer Formen kommunalen Eigentums sollten darüber hinaus ebenso die Erfahrungen der gewerkschaftlichen Gemeinwirtschaft einbezogen werden, insbesondere das Scheitern der DGB-eigenen „Neuen Heimat“ in den 1980er Jahren. Auch Genossenschaften und selbstverwaltete Hausprojekte wie das Mietshäuser Syndikat (siehe Rabe Ralf August/September 2018, S. 20/21) mit ihren positiven und negativen Erfahrungen wären zu berücksichtigen.

Die Immobilienwirtschaft ist eine besonders umkämpfte und korruptionsanfällige Branche, auch das sollten Gutmeinende, die eine neue Bodenpolitik umsetzen möchten, nie aus dem Blick verlieren. Jede Innovation zieht potenzielle Profiteure an, das war schon immer so. Umfassende Transparenz ist hier ein Muss und eine didaktische Herausforderung, damit Informationen und Daten so aufbereitet werden, dass sie das Wesentliche ausdrücken und nicht verschleiern. Nicht nur Offenlegungspflichten, sondern auch stabile Auskunftsrechte sind dabei unverzichtbar.

Elisabeth Voß

Weitere Informationen:
stadt-neudenken.tumblr.com (Runder Tisch)
Volksentscheid: www.dwenteignen.de

 


COMMUNITY LAND TRUSTS

Aus DER RABE RALF Oktober/November 2018, Seite 21

Nachbarschaftliche Selbstverwaltung gegen Bodenspekulation und Verdrängung

Community Land Trusts (CLTs) sind ein gemeinschaftliches, nicht gewinnorientiertes Eigentumsmodell, mit dem Grund und Boden der Spekulation entzogen wird, um ihn für dauerhaft günstigen Wohnraum zur Verfügung zu stellen, aber auch für andere gewerbliche, soziale oder kulturelle Nutzungen – von Nachbarschaftszentren über Gewerbehöfe bis zu Gemeinschaftsgärten. In den 1970er Jahren im Kontext der Bürgerrechtsbewegung im ländlichen Süden der USA entstanden, gibt es mittlerweile hunderte von Community Land Trusts vor allem in den USA und Großbritannien, aber nicht nur dort. Gerade in den Städten sind CLTs zu einem erprobten Mittel gegen Gentrifizierung und Verdrängung geworden.

1987 entschieden sich Bewohner der Londoner Sozialsiedlung WECH, ihr individuelles Vorkaufsrecht gemeinsam wahrzunehmen – nun schlossen sie sich der CLT-Bewegung an. (Foto: Philip Wolmuth)

Obwohl CLTs eine relativ neue Form von kollektivem Eigentum darstellen, gehen sie auf wesentlich ältere Modelle gemeinschaftlichen Landbesitzes zurück. Vor allem die frühen Protagonist*innen der CLT-Bewegung fanden ihre Vorbilder in sehr verschiedenen gesellschaftlichen Zusammenhängen, beispielsweise den Commons in England oder der Gramdan-Bewegung in Indien, in der einzelne Dörfer als Treuhänder landwirtschaftlich genutzten Bodens fungieren.

Land als Gemeinschaftsbesitz

Ein wesentliches Merkmal des CLT-Modells ist seine besondere Eigentumsform. CLTs sind durch eine mit dem hiesigen Erbbaurecht vergleichbare zweigeteilte Eigentumsstruktur gekennzeichnet, in der das Eigentum an Grund und Boden vom Eigentum an den darauf errichteten Gebäuden getrennt ist. Zwar erwerben die künftigen Nutzer*innen in der Regel die baulichen Strukturen, das darunter liegende Land verbleibt jedoch im Eigentum des Trusts und wird von diesem mittels eines langfristigen, in der Regel auf 99 Jahre angelegten Erbbaurechtsvertrags an die Nutzer*innen verpachtet.

Dieser Erbbaurechtsvertrag ist das entscheidende strukturelle Element des CLT-Modells und enthält alle für die Funktionsweise des CLTs und die dauerhafte Bezahlbarkeit des Wohnbestands notwendigen Regelungen.

Organisations- und Selbstverwaltungsstruktur

Die ausdrückliche Einbeziehung der Nachbarschaft in die Organisations- und Verwaltungsstruktur stellt ein weiteres zentrales Element des CLT-Modells dar und unterscheidet dieses grundlegend von hiesigen alternativen Wohn- und Eigentumsmodellen sowie von alleinigen Erbbaurechtsverhältnissen. CLTs sind lokal verankerte, nachbarschaftliche („community-based“) Organisationen mit einer offenen Mitgliedschaft. Konkret heißt das: Alle Menschen, die in dem vom CLT als Nachbarschaft beziehungsweise „Community“ im geografischen Sinn definierten Gebiet wohnen, können stimmberechtigte Mitglieder werden.

Der Fokus auf die Einbeziehung von Nichtnutzer*innen spiegelt sich auch in der paritätischen Zusammensetzung des Vorstands wider. Dieser setzt sich in der Regel zu je einem Drittel aus den Bewohner*innen beziehungsweise Nutzer*innen, zu einem Drittel aus Menschen aus der Nachbarschaft und zu einem weiteren Drittel aus Vertreter*innen der allgemeinen Öffentlichkeit zusammen.

Anders als beispielsweise Genossenschaften begrenzen CLTs auf diese Weise den Einfluss der Bewohner*innen und betonen stattdessen die nachbarschaftlichen und gesellschaftlichen Komponenten der Wohnraumversorgung. Das ist eine Form von Verwaltung, die das gemeinschaftliche Verständnis von Grund und Boden, das für das CLT-Modell so wichtig ist, reflektiert und auch als Form der Vergesellschaftung begriffen werden kann. Gerade die Einbeziehung Dritter in die Verwaltungsstruktur wirkt der Gefahr entgegen, dass die in den Regularien der CLTs verankerten Profitbeschränkungen wieder aufgehoben und anfänglich gemeinschaftlich organisierte Räume mit der Zeit zur Ware und zum Motor von Gentrifizierung und Verdrängung werden können.

Das Recht auf Stadt

Entscheidend für das CLT-Modell ist die strukturelle Verankerung einer dauerhaften Bezahlbarkeit. Indem CLTs Grund und Boden dem Markt entziehen und die Erwirtschaftung von Profit begrenzen oder ganz unterbinden, gewährleisten sie die dauerhafte Bezahlbarkeit ihres Wohn- oder Gewerbebestands beziehungsweise der weiteren bereitgestellten Nutzungen. Diese Marktferne geht mit einer ausdrücklichen Bevorzugung von Haushalten mit begrenzten wirtschaftlichen Mitteln einher. Diese Orientierung an „niedrigen und bescheidenen Einkommen“ ist im Fall der USA beispielsweise auch in der Definition des CLT-Modells im Wohnungs- und Gemeindeentwicklungsgesetz von 1992 verankert.

In den letzten Jahren hat das CLT-Modell an Popularität gewonnen. Gerade im angelsächsischen Raum hat dies sicher auch viel mit dem staatlichen Rückzug aus der Förderung des sozialen Wohnungsbaus zu tun. Initiativen wie die New York City Community Land Initiative, die sich für ein „Recht auf Stadt“ für Menschen mit keinem oder geringen Einkommen einsetzt, und die mit dem East Harlem/El Barrio CLT bereits ein Pilotprojekt auf den Weg gebracht hat, aber auch die neue CLT-Bewegung in London, die – anders als in Berlin – eng mit Initiativen aus dem (ehemals) sozialen Wohnungsbau zusammenarbeitet, zeigen: Das Potenzial dieses Modells und sein Versprechen auf Teilhabe bewegen noch immer Menschen zum Handeln.

CLTs – ein Modell auch für Berlin?

Um ein Konzept für die Übertragung dieses Modells auf Berlin zu erarbeiten, hat sich in den letzten Monaten eine Gruppe aus Interessierten und Initiativen zusammengefunden und wird dabei vom Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg unterstützt. Aber auch unabhängig davon bieten einzelne Aspekte des CLT-Modells für die hiesigen stadt- und wohnungspolitischen Debatten wertvolle Anregungen.

Zum einen würde es den gemeinschaftlichen Wohnmodellen ein eindeutig sozial und nachbarschaftlich orientiertes Modell hinzufügen. Auf diese Weise können CLTs beispielsweise einen Weg aus der in vielen Wohnprojekten und Genossenschaften vorhandenen Tendenz zu Homogenität und sozio-ökonomischer Exklusivität weisen und diese wieder stärker auf einen größeren Solidargedanken und einen über die jeweilige Klientel hinausreichenden Anspruch verpflichten.

Zum anderen könnten aber auch einzelne Aspekte des Modells neue Richtungen aufzeigen. Gerade die in den CLTs sehr zielgenauen, sozial ausgerichteten Regelungen, die über das Erbbaurecht langfristig vereinbart und gesichert werden, sowie das Prinzip der zweigeteilten Eigentumsstruktur mit ihren erweiterten  Möglichkeiten zur Kontrolle von außen sind für hiesige stadtpolitische Auseinandersetzungen eine gute Grundlage. Sie könnten in den Diskussionen zur Neuausrichtung der Liegenschaftspolitik und zur Einrichtung eines kommunalen Bodenfonds, aber auch zur Rekommunalisierung von privatisiertem, ehemals öffentlichem Eigentum wichtige Impulse liefern. Sie böten – zusammen mit der Einbeziehung von Vertreter*innen der Nachbarschaft und der breiteren Öffentlichkeit in die Verwaltungs- und Organisationsstruktur – eine Garantie, dass rekommunalisierte Bestände dauerhaft im gesellschaftlichen, demokratisch verwalteten Eigentum verblieben und auch bei politischen Richtungswechseln nicht wieder veräußert werden können.

Sabine Horlitz

Veranstaltung zu Community Land Trusts: 6. Oktober, 11-18 Uhr, ExRotaprint-Glaskiste, Gottschedstr. 4, Aufgang 3, 13357 Berlin-Gesundbrunnen (U9 Nauener Platz), www.berlin.urbanize.at


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