Fleisch essen ohne schlechtes Gewissen

Aus DER RABE RALF Oktober/November 2018, Seite 23

Kommt unser Fleisch künftig aus dem Reagenzglas statt von geschlachteten Tieren?

Es ist umweltfreundlich, gesund und verursacht kein Tierleid. So bewirbt das israelische Start-up-Unternehmen SuperMeat seine Fleisch-Alternative. Das Besondere: Es handelt sich nicht um ein Fleisch-Imitat aus Tofu oder Seitan, sondern um echtes Muskel- und Fettgewebe, gezüchtet in einem Bioreaktor. Und obwohl die Markteinführung noch in der Zukunft liegt, erhält das 2015 gegründete Start-up viel Unterstützung. 245.000 US-Dollar hat es bereits per Crowdfunding eingenommen und auch andere große Unternehmen investieren in das Produkt.

Ersetzt die Petrischale den Massenstall? (Foto: Umberto Salvagnin, CC BY 2.0)

Dazu gehört ausgerechnet die deutsche Hühnerfleisch-Marke Wiesenhof, die in der Vergangenheit schon mehrfach wegen Tierquälerei und Hygieneverstößen in Verruf geraten ist. „Wir sehen unsere Beteiligung als strategische Partnerschaft“ behauptet Firmenchef Peter Wesjohann, nachdem seine Firma Anfang des Jahres eine Minderheitsbeteiligung an SuperMeat erwarb.

Das Unternehmen geht davon aus, dass das sogenannte In-vitro-Fleisch schon bald in deutschen Supermärkten erhältlich sein wird und dabei einen größeren Marktanteil für sich gewinnen könnte als herkömmliche Ersatzprodukte, schließlich soll es günstiger als „normales“ Fleisch sein, ohne Tierleid auskommen und sogar besser schmecken. Besonders vielversprechend klingen die Angaben zur Ökobilanz, mit denen SuperMeat wirbt: 99 Prozent weniger Land und 90 Prozent weniger Wasser wird es angeblich verbrauchen, 96 Prozent weniger Treibhausgase sollen entstehen. Essen wir in Zukunft also nur noch Fleisch aus der Petrischale?

Herstellung läuft noch nicht reibungslos

„In vitro“ ist Lateinisch für „im Glas“ und beschreibt organische Vorgänge außerhalb eines lebenden Organismus, eben „im Reagenzglas“. Bei der Herstellung von In-vitro-Fleisch werden einem einzelnen Tier Muskelstammzellen entnommen, die dann in einem Bioreaktor kultiviert werden – in einem speziellen Nährmedium, das die Zellteilung vorantreibt. Nach einiger Zeit haben sich die Zellen so stark vermehrt, dass sie Muskelfasern bilden. Für die Herstellung einer einzigen Burger-Boulette braucht man 20.000 dieser Fasern. Der ganze Prozess nennt sich „Tissue Engineering“ (etwa: Gewebezüchtung), ist allerdings nicht wirklich neu, denn in der sogenannten Regenerativen Medizin wird nach demselben Prinzip schon seit einiger Zeit zerstörtes Gewebe von Patienten ersetzt.

Allerdings verläuft die Herstellung des In-vitro-Fleischs noch nicht reibungslos. Zum einen kann es bislang nicht im industriellen Maßstab produziert werden, zum anderen entspricht es noch nicht den Ansprüchen, die Kunden und Hersteller an das Produkt haben.

Ein großes Problem ist das Nährmedium, in dem die Muskelfasern heranwachsen. Neben Zucker, verschiedenen Aminosäuren, Vitaminen und Mineralien enthält es das sogenannte fötale Kälberserum, das aus dem Herzen eines Rinderfötus gewonnen wird. Hierbei wird einer trächtigen Kuh der Fötus aus der Gebärmutter geschnitten, um dann dem unbetäubten Kalb das Herz blutleer zu saugen – eine tödliche Prozedur für den Fötus, die selbstverständlich dem Grundgedanken des leidfreien Fleischs widerspricht. Wissenschaftler forschen deshalb an einem pflanzlichen Serum, das ebenfalls imstande ist, die Zellteilung anzuregen.

Nicht so ökologisch wie zuerst gedacht

Die industrielle Tierhaltung gilt als einer der größten Umweltverschmutzer überhaupt. Sie beansprucht 70 Prozent des gesamten Ackerlandes und ist für fast 15 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich. Leider ist auch die Ökobilanz von In-vitro-Fleisch nicht so rosig wie zunächst erwartet.

Hersteller und Befürworter des Produkts verweisen gerne auf eine Studie aus dem Jahr 2011, die sich erstmals mit den Umweltauswirkungen von In-vitro-Fleisch beschäftigte. Darin konnte das Laborfleisch mit durchweg positiven Ergebnissen punkten. Die Forscher verglichen die Umweltbelastungen bei der Herstellung von In-vitro-Fleisch mit der von herkömmlichem Rind-, Schweine- und Hühnerfleisch. Vor allem der Wasser- und Landverbrauch sowie der Ausstoß von Treibhausgasen lagen nur bei einem Bruchteil der Werte von herkömmlichen Fleischprodukten. Der Energieverbrauch sollte gleichauf mit dem von Schweinefleisch liegen.

Umweltbelastung bei der Herstellung von Fleisch und In-vitro-Fleisch. (Grafik: Dietmar Bartz und Ellen Stockmar/​Fleischatlas 2018, CC BY 4.0)

Allerdings erschien drei Jahre später eine Folgestudie mit weniger erfreulichen Zahlen. Demnach ist der Energieverbrauchswert von In-vitro-Fleisch doppelt so hoch wie bei Schweinefleisch. Grund ist der übermäßige Energiebedarf der Bioreaktoren, in denen die Stammzellen sich vermehren. Und auch der Wasserverbrauch ist nach der neuen Studie nicht so niedrig wie zuvor vermutet – er wird höher als bei der Geflügelfleischproduktion geschätzt.

Trotzdem hat Fleisch aus Zellkulturen das Potenzial, eine umweltfreundliche Alternative zu werden, weil es kaum Platz in Anspruch nimmt und Entwicklung der Technologien zur Herstellung noch am Anfang steht. Wie umweltfreundlich In-vitro-Fleisch wirklich ist, lässt sich aber erst nach der Markteinführung sagen, denn die bisherigen Studien sind noch ungenaue Hochrechnungen. Lange müssen die Verbraucher, zumindest wenn man SuperMeat Glauben schenkt, jedoch nicht mehr auf das Produkt warten. Das Unternehmen verspricht, Supermärkte ab 2020 zu beliefern, und andere Hersteller aus den USA, den Niederlanden und Asien werden bald nachziehen. Ihr Ziel ist es, die Fleischproduktion in zwanzig Jahren komplett abgelöst zu haben.

Entweder Fleischersatz oder Fleischverzicht

Hierzulande wird jedoch nicht auf diesem Gebiet geforscht. Man geht davon aus, dass ein großer Teil der Deutschen weiterhin konventionelles Fleisch kaufen wird, denn viele betrachten künstlich gezüchtetes Fleisch, ähnlich wie Gentechnik, als unnatürlich. Kritiker sind der Meinung, die Bevölkerung sollte lieber ihren Fleischkonsum herunterschrauben, statt auf In-vitro-Fleisch zu warten. Denn eine erfolgreiche Markteinführung könnte zur Folge haben, dass Fleischkonsum verharmlost wird und mit ihm sämtliche Folgeerkrankungen wie zum Beispiel Darmkrebs, Fettleibigkeit oder Herzinfarkte zunehmen.

Befürchtet wird auch, dass der Mensch sich noch weiter vom Tier entfremdet, als es durch die Massentierhaltung schon der Fall ist. Die industrielle Herstellung von Fleisch würde sich endgültig durchsetzen und die traditionelle Tierzucht aussterben. Zudem vergessen einige, dass das Ende der Nutztierschlachtung nicht das Ende der Tierhaltung bedeutet, denn tierische Nebenprodukte wie Milch, Eier oder Leder würden weiterhin gefragt sein. Hier hilft am Ende nur der Verzicht.

In der Realität machen wir allerdings weiterhin große Rückschritte. In den letzten 50 Jahren hat sich der weltweite Fleischkonsum mehr als verdreifacht und er steigt immer weiter. Hierzulande ist er weiterhin zu hoch, weil viele ihre Gewohnheiten nicht aufgeben wollen oder können. Gerade sie sollten dem Laborfleisch eine Chance geben. Schließlich hätte es bei einem verbesserten Herstellungsverfahren zahlreiche Vorteile gegenüber Fleisch aus der Massentierhaltung. Alles in allem gilt dennoch: Die Zukunft von In-vitro-Fleisch steht bislang in den Sternen.

Alena Schmidbauer


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