Klimakiller Kuh

Aus DER RABE RALF Juni/Juli 2023, Seite 10

Warum die Haltung von Wiederkäuern doch ein Problem ist

Kühe grasen auf einer weitläufigen Weide.
Das Rind kann nichts dafür, dass Menschen sich von ihm ernähren. (Foto: Manfred Zimmer/​Pixabay)

In seinem Artikel „Keine Klimakiller“ in der letzten Ausgabe (Rabe Ralf April 2023, S. 18) versuchte der Agrarwissenschaftler Onno Poppinga den negativen Einfluss von Wiederkäuern auf das Klima zu relativieren. Diese These bröckelt jedoch schon in der Einleitung der von ihm angeführten Studie, die zwischen 1961 und 2019 einen drastischen Anstieg der Methanemissionen belegt. Der Artikel wirkt fast wie ein Plädoyer für das System Tierhaltung, das aber aus einer Vielzahl von Gründen längst abgeschafft sein sollte.

Deutschland ist nicht die Welt

Anders als von Poppinga dargestellt, belegt die Studie gar nicht, dass Kühe keine „Klimakiller“ sind. Sie weist lediglich nach, dass das von Kühen und anderen Wiederkäuern in den heutigen deutschen Grenzen ausgestoßene Methan abgenommen hat. Ein Rückgang der Methan-Emissionen von Wiederkäuern wird damit nicht belegt, weder global noch für Deutschland. Dafür müssten nämlich auch die für den Im- und Export relevanten „Tierprodukte“ berücksichtigt werden, denn Emissionen sind gerechterweise dem Land zuzurechnen, in dem die Produkte konsumiert werden.

Für ein umfassendes Bild sollten dann auch noch alle anderen in diesem Zusammenhang entstehenden Emissionen einbezogen werden, ebenso die sonstigen Auswirkungen der Haltung von Wiederkäuern, beispielsweise der Einfluss auf die Biodiversität und die Grundwasserbelastung.

Ineffizienz, die uns die Zukunft kostet 

Bei einem Blick auf die globalen Entwicklungen wird die Behauptung, dass Kühe keinen nennenswerten negativen Einfluss auf das Klima haben, gänzlich haltlos. So sind die durch enterische Fermentation erzeugten Methanemissionen, die bei den Verdauungsprozessen von Wiederkäuern entstehen und auch Untersuchungsobjekt der Studie waren, vom Beginn der Messungen der UN-Ernährungsorganisation FAO 1961 bis 2019 weltweit um 54 Prozent gestiegen. Methan wirkt in den ersten 20 Jahren in der Atmosphäre etwa 83-mal so klimaschädlich wie CO₂. Beides steht bereits in der Einleitung der von Poppinga angeführten Studie.

Des Weiteren erschien kürzlich in der Fachzeitschrift „Nature“ eine Studie zu den Auswirkungen des globalen Nahrungskonsums auf das Klima. Diese kam zu dem Schluss, dass allein dadurch bis zum Ende des Jahrhunderts mit einer Erderwärmung zwischen 0,7 und 0,9 Grad zu rechnen ist – je nach Bevölkerungswachstum –, wenn die aktuellen Konsummuster beibehalten werden. Etwa 60 Prozent dieser Erwärmung sind auf methanlastige Produkte wie Fleisch von Wiederkäuern, Milchprodukte und Reis zurückzuführen. Die tatsächliche Erwärmung wird vermutlich noch höher liegen, da aktuelle Prognosen von einem Nachfrageanstieg um 70 Prozent für „Tierprodukte“ bis 2050 ausgehen, bei Wiederkäuerfleisch sogar um 90 Prozent.

Angst vor Veränderung

Ärgerlich ist außerdem, dass Poppinga in seinem Artikel Klimaforscher*innen das Fachwissen abspricht, während er den Autoren, die seine eigene Ansicht stützen, vollumfängliches Wissen attestiert. Selbst wenn es stimmen würde, dass der heutige Methanausstoß von Wiederkäuern unter dem vorindustriellen Niveau liegt, hieße das noch lange nicht, dass hier kein drastisches Handeln notwendig wäre. Letztendlich wird es uninteressant sein, welche Sektoren über oder unter ihrem vorindustriellen Niveau liegen, wenn uns die Klimakatastrophe überrollt. Um das zu verhindern, sollten wir alle Möglichkeiten nutzen und uns nicht auf vermeintlichen Erfolgen in einzelnen Bereichen ausruhen.

Das schneidet der Autor auch kurz an, indem er Möglichkeiten zur Verringerung des Methanausstoßes von Kühen aufzählt. Auf die Idee einer drastischen Reduktion von Wiederkäuerbeständen oder gar ihrer Abschaffung kommt er aber nicht. Dabei steckt in der Landwirtschaft, besonders in der Tierhaltung, kurz- und mittelfristig ein gigantisches Potenzial zur Reduktion von Treibhausgasen, wie der letzte Bericht des Weltklimarates zeigt. 46 Prozent der bewohnbaren Erdoberfläche werden für Landwirtschaft genutzt, davon wiederum 77 Prozent für Tierhaltung – für Futteranbau, Weideland, Ställe und alle sonstigen benötigten Flächen. Jedoch werden von diesen 77 Flächenprozent lediglich 18 Prozent der globalen Kalorien und 37 Prozent der Proteine gewonnen, der „Rest“ stammt heute schon aus rein pflanzlichen Quellen. Abgesehen von der ethischen Verwerflichkeit des Systems Tierhaltung, ist seine Ineffizienz einer der Haupttreiber der Klimakatastrophe und der noch gerne vergessenen Biodiversitätskrise.

Sichere Ernährung ohne Tierhaltung

Auf der anderen Seite scheint für den Autor alles, was nicht in sein Muster von „erprobten und sicheren Formen der Ernährung“ passt, von den „Retorten der Industrie“ abhängig zu sein. Was damit gemeint sein soll, lässt sich nur mutmaßen. Sicher ist aber, dass Menschen, die sich rein pflanzlich ernähren, im Schnitt gesünder sind als omnivor Ernährte.

Sollten mit den Retorten die berühmt-berüchtigten Ersatzprodukte gemeint sein, die angeblich nur aus „Chemie“ bestehen, ließe sich entgegnen, dass kein Mensch gezwungen ist, bei einer pflanzlichen Ernährung solche Produkte zu konsumieren. Darüber hinaus gibt es zwar durchaus verarbeitete pflanzliche Produkte, darunter auch hochverarbeitete, und diese sollten sicherlich nicht in rauen Mengen verzehrt werden. Gleiches lässt sich aber auch für eine Vielzahl tierischer „Lebensmittel“ sagen, sodass dieses Argument nicht auf alternative Ernährungsformen beschränkt ist.

Falls hier B12-Supplemente gemeint sein sollen, so sind diese bei einer rein pflanzlichen Ernährung aktuell definitiv nötig und werden entsprechend industriell hergestellt. Jedoch taugt auch dies nicht als Argument, da dieselben Supplemente auch Tieren in der Tierhaltung ins Futter gemischt werden, um sicherzustellen, dass omnivor ernährte Menschen mit genügend Vitamin B12 versorgt sind. Bei einer pflanzlichen Ernährung entfällt also lediglich der Umweg übers Tier. Darüber hinaus ist die Supplementierung von potenziell kritischen Nährstoffen immer sinnvoll – das gilt aber für alle Ernährungsformen.

Justin Penzel 

Weitere Informationen: www.landwirtschaft.jetzt 

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