„Aussteigen, aufbrechen“

Aus DER RABE RALF Dezember 2022/Januar 2023, Seite 4/5

Wachstumskritiker Niko Paech über die Grenzen von Erde, Staat und linker Gesinnung

Niko Paech. (Foto: Michael Messal)

Dass auf unserem begrenzten Planeten ein unbegrenztes Wachstum nicht möglich ist, entspricht der Logik, aber nicht der herrschenden Wirtschaftspolitik. Einer der bekanntesten Vertreter der Wachstumskritik ist Niko Paech, Professor für Plurale Ökonomik an der Universität Siegen. Er gilt als Begründer der sogenannten Postwachstumsökonomie. Statt der Illusion eines „grünen Wachstums“ zu verfallen, fordert Paech eine Besinnung auf Suffizienz (Genügsamkeit) und Subsistenz (Selbstunterhalt). Ein Wandel soll durch radikale Arbeitszeitverkürzung, Konsumbefreiung, regionale Wirtschaftskreisläufe und Reparaturinitiativen erreicht werden. Der Rabe Ralf sprach mit ihm über Windräder, Anarchie und Weihnachten.

Der Rabe Ralf: Herr Paech, Sie haben einmal gesagt, dass kein Weg an einer Postwachstumsgesellschaft, einer Gesellschaft ohne Wachstum, vorbeiführt. Die Transformation wird entweder „by design or by disaster“ stattfinden, also durch bewusste Gestaltung oder durch Katastrophen. An letzteren herrscht bereits kein Mangel – Klimakatastrophe, Pandemie, Ukrainekrieg –, dennoch scheinen die meisten Menschen am bisherigen Lebensstil festhalten zu wollen. Braucht es noch mehr Katastrophen, um ein Umdenken herbeizuführen?

Niko Paech: Die zuweilen krampfhafte Verteidigung eines Wohlstandes, der ohnehin nie leistungsgerecht war, dürfte ein letztes Aufbäumen gegen eine kaum noch zu hintergehende Krisenrealität sein. Das sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass mit jeder neuen Krise die Zahl der Menschen zunimmt, die das Vertrauen in die Fortsetzbarkeit der aktuellen Lebensweise verlieren. Manche erkennen, dass es jetzt wichtiger ist, viele kleine, genügsame Rettungsboote zu bauen, statt die leckgeschlagene Wohlstands-Titanic mit einem grünen Antrieb zu versehen und die Drinks in der Cocktailbar zu subventionieren.

Immerhin ist Ulrike Hermann mit ihrem Buch „Das Ende des Kapitalismus“ ein Bestseller gelungen. Sie fordert eine klimaschonende „Kriegswirtschaft“ nach britischem Vorbild (Rabe Ralf Juni 2020, S. 12). Da endloses Wachstum nicht möglich ist, soll der Staat bei den Fragen von Produktion und Verteilung das letzte Wort haben. Obwohl Sie der Autorin in der Analyse der Lage zustimmen, haben Sie sich kritisch zu ihren Lösungsvorschlägen geäußert. Was sind ihre Hauptkritikpunkte?

Ulrike Herrmanns Kapitalismusdefinition halte ich für diffus und gänzlich unplausibel. Außerdem führt die von ihr zum Vorbild aufgepumpte Kriegswirtschaft gerade nicht dazu, den Kapitalismus abzuschaffen, sondern bestenfalls die Marktwirtschaft vorübergehend außer Kraft zu setzen. Die im Buch beschriebene Rationierung von Nahrungsmitteln lässt sich überdies nur kurzfristig aufrechterhalten, kann also kein Modell für die dauerhafte Transformation sein. Die damalige Kriegswirtschaft bietet im Übrigen auch keine Lösung für Gebrauchsgüter. Dies spielte in England seinerzeit keine Rolle, weil die Ausstattung mit Konsumgütern verglichen mit heute verschwindend gering war und diese außerdem so langlebig waren und so achtsam genutzt wurden, dass während dieser kurzen Phase ein Versorgungsengpass nicht eintreten konnte.

Aber das ist nicht einmal das Hauptmanko des Vorschlags. Denn abgesehen davon, dass die von Herrmann konstruierte Drohkulisse, nach der eine verringerte Konsumnachfrage die Ökonomie abstürzen ließe, weder theoretisch noch empirisch gedeckt ist: Paradoxerweise würde ihre Idee gerade keine Antwort darauf liefern. Helfen würde nur ein Staat, der durch den Einkommenseffekt öffentlicher Investitionen den Nachfrageverlust auffangen würde, aber eben nicht die bisherige Produktions- und Konsumstruktur pampern dürfte. Die vorübergehenden Investitionen müssten in Rückbauprojekte und gleichzeitig in neue Versorgungssysteme fließen, etwa in den lokalen oder regionalen Nahrungsanbau, die Gemeinschaftsnutzung langlebiger Güter und die Nutzungsdauerverlängerung sowie in Maßnahmen zur Selbsthilfe, um Menschen konsum- und damit geldunabhängiger werden zu lassen. Aber diese Lösungen werden durch Herrmanns Vorschlag verschleppt.

Ohne Wirtschaftswachstum kein Sozialstaat – auf dieses Dogma kann sich die Mehrheit der Politiker einigen. Müssen wir ewig produzieren und konsumieren, um den wirtschaftlich Schwachen helfen zu können?

Der beste Sozialstaat ist einer, der nur selten benötigt wird, weil die Menschen über Befähigungen verfügen, sich in kleinen Kollektiven autonom, selbsttätig und möglichst geldfrei zu versorgen. Was Menschen zu hilflosen Versorgungsfällen degradiert, ist ein Bildungssystem und eine von allen gesellschaftlichen Institutionen reproduzierte Konsumkultur, die zur Verkümmerung aller Kompetenzen führt, genügsam zu leben und zur eigenen Versorgung beizutragen. Ein konsequentes Zurückdrängen der Akademisierung, Digitalisierung und Globalisierung wäre ein erster Schritt. Der dann noch nötige Sozialstaat, der unbedingt zu erhalten wäre, käme mit weniger Mitteln aus.

Obwohl Sie Organisationen wie Attac beraten haben, wollen Sie selbst kein Linker sein. Warum nicht?

Ich distanziere mich von linken Positionen auf mindestens fünf Ebenen, erstens bei der Fortschrittsorientierung, zweitens der Gerechtigkeitsvorstellung, drittens der Rolle des Staates, viertens der Beurteilung individueller Verantwortung und fünftens der Definition von Lebensqualität.

Einige Linke verdächtigen Sie deshalb des Konservatismus und werfen Ihnen Kulturpessimismus oder sogar rechte Tendenzen vor. Ist da was dran?

In der Tat könnte ich als konservativ und in der Beurteilung bestimmter Tendenzen auch als kulturpessimistisch bezeichnet werden. Aber ist das hinreichend, um mit rechten Tendenzen in Verbindung gebracht zu werden? In Deutschland wirkt sich der kolossale Sieg der Gesinnungsethik über die Verantwortungsethik aus. Die Beliebigkeit, mit der das Charakteristikum „rechts“ ständig neu aufgeladen und gedehnt wird, erleichtert es, Positionen zu verunglimpfen, sobald sie vom aktuellen links-grün-liberalen Korrektheitsstandard abweichen.

Überdies lassen sich mit der dabei oft bemühten, schlicht gezimmerten Kontaktschuldmethode absurdeste Verbindungen konstruieren. Ein Beispiel: Als ich kürzlich auf neue Studien in anerkannten Fachzeitschriften verwies, die eine – bislang völlig unterschätzte – Begrenztheit der Ressource Wind belegen, erregte sich im Publikum jemand darüber, dass dieses Argument gegen Windkraft auch von irgendeinem AfD-Politiker verwendet würde. Der eigentliche Inhalt spielte in der anschließenden Debatte keine Rolle mehr.

Im massiven Ausbau der Windkraft sehen Sie eine „Industrialisierung der Landschaft“ (Rabe Ralf Februar 2017, S. 5). Ist das nicht Wind auf die Mühlen der Klimawandelleugner? Wie soll der Wechsel zu erneuerbaren Energiesystemen ohne diesen Ausbau gelingen?

Genau umgekehrt: Je rücksichtsloser die letzten verbliebenen Wälder, Naturareale und Kulturlandschaften zerstört werden, desto mehr Menschen werden sich gegen einen rein technizistischen Klimaschutz wenden – der überdies nicht mal hält, was seine eigene verquere Wachstumslogik verspricht. Für viele Gegner der Naturzerstörung erweist es sich dann als verführerisch, nach Argumenten zu suchen, die den menschenverursachten Klimawandel widerlegen.

Bevor die nächsten Windkraftanlagen projektiert werden, wären erst mal autofreie Sonntage und Innenstädte einzuführen sowie allerhand dekadenter Luxus auf den Prüfstand zu stellen, wie Urlaubs- und Work-and-travel-Flüge, Kreuzfahrten, SUVs oder Smartphones für Sechsjährige. Windkraftanlagen wären ausschließlich auf stillgelegten Autobahnen, Flughäfen und Industrieanlagen zu errichten. Noch wichtiger wäre, die immens vielen Dächer mit Photovoltaik und Solarthermie zu bestücken. Insgesamt gilt: Eine Energiewende, die diesen Namen verdient, sollte nicht zerstören, was sie zu schützen vorgibt. Sie kann nur in einer Kunst der Unterlassung bestehen.

Ihre Positionen scheinen sich gelegentlich mit anarchistischen Ideen zu überschneiden. Die basisaktivistischen „Reallabore“ findet sich etwa schon bei Gustav Landauer (Rabe Ralf Februar 2018, S. 10). Vom Staat – dem Feindbild der Anarchisten – scheinen auch Sie nicht sonderlich viel zu erwarten.

Ich würde meine Position zur Transformation in Richtung Postwachstumsökonomie durchaus als anarchistisch bezeichnen. Aber der Staat ist für mich deshalb kein Feindbild, sondern – bezogen auf das Regierungshandeln – eine bemitleidenswert handlungsunfähige Instanz. Deshalb braucht es autonome und dezentrale Aufbrüche, die zivilgesellschaftliche Verantwortung für das übernehmen, was von den Regierungen in Ermangelung erforderlicher Wählermehrheiten nicht umgesetzt werden kann.

Manche Libertäre haben Sympathien für Regionalwährungen oder für das sogenannte „Schwundgeld“ (Rabe Ralf Juni 2019, S. 21). Auch Sie selbst scheinen dieses nicht unumstrittene Konzept zu befürworten. Weshalb interessieren Sie sich für solche Projekte?

Das Geld- und Finanzsystem halte ich aus mehr als nur einem Grund für langfristig ruinös. Folglich wären Alternativen vonnöten, meines Erachtens auch solche, die sich selbstorganisiert etablieren lassen, statt auf ein politisches Wunder zu warten. Hier bieten sich regionale Komplementärwährungen an. Darüber hinaus eignen sich derartige Systeme für die Koordination und Stabilisierung regionaler Wertschöpfungsketten, können zudem der sozialen Integration und demokratischen Mitbestimmung förderlich sein.

Würde das nicht – konsequent zu Ende gedacht – einen Ausstieg aus dem Euro erfordern?

Nein, ich favorisierte komplementäre Geldsysteme, die den Euro ergänzen, obwohl ich dessen Einführung immer für eine Katastrophe gehalten habe. Nur: Jetzt komplett auszusteigen, wäre kurzfristig mit kaum vertretbaren sozialen und ökonomischen Folgen verbunden.

Der Selbstversorgungspionier John Seymour beschrieb in seinem Roman „Die Lerchen singen so schön“ eine Welt, in der der Staat beim Versuch der Krisenbewältigung sein totalitäres Gesicht zeigt. Selbstorganisierte Kleingruppen nehmen den Guerillakrieg auf und sind am Ende siegreich. Seymour hat dies als Utopie gemeint. Könnte es so kommen?

Nein, denn die politische Praxis ist längst auf das plumpe Niveau des Geschenkeverteilens herabgesunken, um die Wählerschaft mit einem Weiter-so-Versprechen bei Laune zu halten. Auch die Corona-Politik war insofern nicht totalitär, als sie genau dieses Versprechen bediente und deshalb von der Mehrheit mitgetragen wurde.

Sie fordern eine regionale Ernährungssouveränität und weisen darauf hin, dass dieses Ziel nur erreicht werden kann, wenn viel mehr Menschen in der heimischen Landwirtschaft arbeiten. Die Beschäftigtenzahl in diesem Bereich ist allerdings seit Jahrzehnten rückläufig. Wie wollen Sie eine in die Städte strebende Jugend wieder aufs Land bekommen?

Ob jemand bereit ist, eine bestimmte Arbeit anzunehmen, hängt zwar auch vom Geld ab, aber nicht nur. Ebenso wichtig ist die Möglichkeit, sich mit der Arbeit identifizieren und darin verwirklichen zu können. Dafür braucht es im Agrarbereich vier Voraussetzungen: erstens ökologischer Landbau, zweitens eine 20-Stunden-Woche, um akzeptabel dosierte körperliche Arbeit mit anderen Aktivitäten kombinieren zu können, drittens demokratische Mitgestaltung und viertens natürlich auch eine faire, aber maßvolle Entlohnung. Die „Solidarische Landwirtschaft“ ist diesbezüglich das naheliegendste Konzept. Sinnstiftung in der Arbeit entsteht dort, wo Menschen sich bewusst sind, Teil der Lösung zu sein, hier sogar doppelt: Ökologie und Versorgungssicherheit.

Wachstumskritikern wird häufig Technikfeindschaft vorgeworfen. Dabei unterscheidet schon Ivan Illich zwischen „konvivialer“ und „heteronomer“ Technik: Konvivale Technik vergrößert die menschliche Autonomie, heteronome Technik schränkt sie ein. Auch Sie weisen den Vorwurf der Maschinenstürmerei von sich. Wird uns Technik doch noch retten?

Nein, die Flucht in eine technologische Rettung ist zwar bequem und gewissensberuhigend, aber das verschiebt und vergrößert nur die Katastrophe. Dennoch hat Ivan Illich recht, sinnvoll wären konviviale, mittlere oder polyzentrische Technologien, die menschliche Arbeit nicht ersetzen, sondern nur maßvoll verstärken und die möglichst ohne umfangreiche Investitionen verfügbar sind. Dadurch sind sie sozial nivellierend und demokratisch kontrollierbar. Aber das ginge gerade mit einem weitaus geringen Technisierungsgrad einher.

Konsum und Arbeit dienen in unserer Gesellschaft der Identitätsbildung und der sozialen Abgrenzung: „Sage mir, wo du arbeitest und was du kaufst, und ich sage dir, wer du bist.“ Würde Konsumverweigerung und Arbeitszeitverkürzung nicht zu einer kollektiven Sinnkrise führen?

Überhaupt nicht, denn Konsum allein hat schon jetzt an Identifikationskraft verloren. An seine Stelle treten zunehmend Rituale der moralischen Korrektheit oder Überlegenheit. Arbeitszeitverkürzung heißt, zwar mit weniger Geld auszukommen, dafür aber mehr Zeit zu haben, die genutzt werden kann, um Erfolgserlebnisse und Selbstwirksamkeit in einer ganz anderen Qualität auszuschöpfen: Aufräumen, Ausmisten, Saubermachen, Reparieren, Gärtnern, Netzwerke der Gemeinschaftsnutzung unterhalten, sich im sozialen Umfeld und in Projekten engagieren, Wandern, Radfahren, Musizieren, politisch aktiv sein und vieles mehr.

Viele sind trotzdem lieber mit dem Auto unterwegs und identifizieren sich damit, denn das Auto ist in Deutschland mehr als ein Fortbewegungsmittel. Es ist, wie Sie selbst sagen, kein normales Produkt. „Das deutsche Auto“ ist ein nationaler Fetisch, auf den Vorstellungen von „Freiheit“ und „Wohlstand“ projiziert werden. Können rationale Argumente einen Mythos zerstören?

Nein, sonst wäre das längst gelungen. Das Auto lässt sich nur durch prägnante Aktionen seiner Delegitimierung in Frage stellen. Der Aufstand der Letzten Generation macht hier einen guten Job.

Wie feiert ein Wachstumskritiker eigentlich Weihnachten?

Vegetarisch und unter Androhung harter Sanktionen, falls jemand George Michaels „Last Christmas“ aufzulegen versucht.

Vielen Dank für das Gespräch!

Interview: Johann Thun

Weitere Informationen: www.postwachstumsoekonomie.de

Mehr zum Thema auf Seite 18: „Eine demokratisch gestaltete Ökonomie kann ohne Wachstum auskommen“

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