Rezensionen

Aus DER RABE RALF Juni/Juli 2024, Seiten 21-23, 26/27

In der Höhle des Löwen

Eine Broschüre zeigt, wo der Schlüssel für eine Verkehrswende liegt, die wirklich funktioniert

VW steht für Volkswagen, den Inbegriff des deutschen Automythos – bekanntlich mit NS-Hintergrund (Rabe Ralf August 2023, S. 23). Wenn jetzt ein Büchlein den Titel „VW heißt Verkehrswende“ trägt, dann hört sich das zunächst größenwahnsinnig an. Doch liest man die knapp 70-seitige Broschüre, merkt man, dass selbst in Wolfsburg, wo die Autostadt von allen Seiten zu sehen ist und die Straßen nach der Porsche-Familie benannt sind, die Kritik an der Automobilgesellschaft ihren Platz gefunden hat.

Das ist auch ein Verdienst des Wohnprojekts Amsel 44, das im Sommer 2022 in Wolfsburg eingezogen ist, mit dem klaren Vorsatz, in der Höhle des Löwen den Kampf um die Verkehrswende aufzunehmen. Den theoretischen Hintergrund lieferte den jungen Leuten ein Zitat des Soziologen Stephan Lessenich. „Wer die kapitalistischen Produktionsverhältnisse umgestalten, ja umbrechen möchte – zum Schutz der natürlichen Restressourcen der Welt und zum Wohle der arbeitenden Menschen auf ihr“, so Lessenich, „der muss, statt in die Reservate der Paradiesvögel, in die Höhle des Löwen gehen: in die kapitalistische Produktion.“

Auto-Beschäftigte kommen zu Wort

Die AktivistInnen hätten sich auch von Johanna Schellhagens Film „Der laute Frühling“ inspirieren lassen können, in dem eine animierte Szene zeigt, wie Umweltaktive und VW-ArbeiterInnen gemeinsam dafür kämpfen, dass statt Autos sinnvollere Produkte produziert werden (Rabe Ralf August 2022, S. 23).

So weit sind sie bei VW noch nicht. Aber wer die gut strukturierte Broschüre liest, merkt, dass in und um Wolfsburg doch schon einiges in Bewegung geraten ist in Sachen Verkehrswende. Ein Höhepunkt war ein mehrtägiges Verkehrswende-Camp im Mai 2023 in der Wolfsburger Innenstadt. Diese kurze Geschichte, die noch nicht zu Ende ist, wird in der Broschüre in 30 kurzen Kapiteln erzählt. Es sind Stichpunkte, die zum Weiterlesen anregen sollen. Praktischerweise sind unter jedem Kapitel weiterführende Literatur- oder Film-Hinweise angegeben. Diese Aufbereitung des Themas soll wohl vor allem junge Menschen animieren, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Ohne sie zu überfordern, werden sie an das Thema Verkehrswende herangeführt.

Es sind tatsächlich sehr viele Aspekte der Verkehrswende in der Broschüre versammelt und erfreulicherweise wird der anfangs formulierte Anspruch eingelöst. Man ist in die kapitalistische Produktion gegangen und hat unterschiedliche Beschäftigte der Autobranche zu Wort kommen lassen.

Nach der Kündigung die Fabrik besetzt

Ein Kapitel schreibt Dario Salvetti vom Fabrikkollektiv GKN in Campi Bisenzio bei Florenz. Die 422 ArbeiterInnen des Autozulieferers wurden im Juni 2021 fristlos gekündigt. Doch ein großer Teil von ihnen besetzte die Fabrik, mit dem Ziel, das Salvetti so beschreibt: „Die private Autoindustrie gibt Arbeitsplätze auf. Gibt Fabriken auf. Stattdessen ist unser Vorschlag, in die Produktion von öffentlichen Verkehrsmitteln zu investieren – die einzige wirklich nachhaltige Mobilität, die umweltverträglich, elektrisch und kostenlos ist.“

Das GKN-Kollektiv bekam in der letzten Zeit viel Unterstützung aus der italienischen Umweltbewegung und von linken Gruppen. Es gab einige Solidaritätsdemonstrationen und auch schon mehrere Festivals in der Fabrik. Aber Salvetti verschweigt auch nicht die Probleme, vor denen die Beschäftigten stehen: Sie sind mit einem Bündnis aus italienischer Rechtsregierung und Kapitalverbänden konfrontiert, die verhindern wollen, dass das GKN-Kollektiv Erfolg hat und ein Modell für andere werden kann. „Ich weiß nicht, wie lange wir weitermachen können mit unserem Kampf“, schließt Salvetti. „Hoffen wir, dass, wenn sie es schaffen, uns zu beerdigen, wir zumindest Inspiration sein können für zukünftige Pflanzen, die wachsen werden, für den Kampf in Wolfsburg, für die Vergesellschaftung von Volkswagen.“

Der Betriebsrat der Verkehrswende

Mit Lars Hirsekorn kommt ein langjähriger VW-Arbeiter in der Broschüre zu Wort, der seit 2022 auch VW-Betriebsrat ist. Er beschäftigt sich mit der Frage, ob mit dem vorhandenen Maschinenpark die Produktion von Bussen und Bahnen statt Autos möglich ist  (Rabe Ralf Dezember 2020, S. 6). „Technisch und sachlich ist das wenig bestritten“, schreibt er. „Selbstverständlich gibt es eine ganze Reihe von Maschinen und Anlagen, die so speziell sind, dass sie kaum für etwas anderes taugen als zu dem vorgesehenen Zweck. Doch der Großteil lässt sich noch eine Weile verwenden. Grundsätzlich werden Maschinen und Anlagen aber ohnehin regelmäßig erneuert.“

Es gibt also kein technisches Argument gegen die Verkehrswende. Aber ist sie politisch gewollt? Das ist eine Frage von gesellschaftlichem Druck – und das heißt, man muss sich mit dem Kapitalismus anlegen. Hirsekorn spricht ganz deutlich davon, dass erst nach einer Sozialisierung des VW-Werks von einer Umwandlung im Sinne einer Verkehrswende geredet werden kann.

Linke Politik bei der Grünen Jugend

Dem stimmt auch Vito Brullo zu. Der Sprecher der Grünen Jugend Wolfsburg erkennt ganz klar: „Wir brauchen verdammt viele Menschen, die gemeinsam eine Konversion und Vergesellschaftung einfordern.“ Im Weiteren spricht Brullo auch von einem langen Atem, den man im Kampf gegen den Kapitalismus braucht – und davon, dass man mit Demonstrationen und Streiks die eigene Basis verbreitern und die Organisierung vorantreiben kann. Das sind alles richtige Erkenntnisse, nur bleibt die Frage, warum Brullo auch noch im Jahr 2024 glaubt, diese Ziele mit einer grünen Partei erreichen zu können. Schließlich ist es schon einige Jahrzehnte her, dass die organisierten ÖkosozialistInnen die Grünen verlassen haben.

Vielleicht will Brullo die Grüne Jugend ja nach österreichischem Vorbild an sozialistische Gruppen heranführen. In Österreich verbündeten sich maßgebliche Aktive der dortigen Grünen Jugend mit der Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ) und sorgten für eine Modernisierung der traditionalistischen Partei, die danach beachtliche Wahlergebnisse in Graz, Salzburg und einigen anderen Städten eingefahren hat.

Selbstermächtigung statt Belehrung

Interessant ist auch der Beitrag des langjährigen Bochumer Opel-Betriebsrats Wolfgang Schaumberg, der auch als Rentner noch seine Erfahrungen über linke Betriebsarbeit vermittelt. Er warnt vor der Illusion, dass es schnell möglich wäre, die Beschäftigten von der Verkehrswende zu überzeugen. Spielen doch die meisten von ihnen Lotto – in der Hoffnung, nach einem Gewinn die Fabrik verlassen zu können. Aber Schaumberg sieht durchaus Ansatzpunkte für Aufklärung bei den ArbeiterInnen durch gut geschriebene Flugschriften, die vor den Fabriktoren verteilt werden. Dabei dürfe aber nicht der Eindruck erweckt werden, dass Gruppen von außen den Leuten im Werk erzählen wollen, was sie machen müssten. Das komme nicht gut an. Ein leicht verständliches Flugblatt hingegen, das die Vorteile der Verkehrswende auflistet, könne Diskussionen in der Belegschaft auslösen, weiß Schaumberg als langjähriger Opel-Beschäftigter.

Es ist zu hoffen, dass die Aktiven in Wolfsburg, ob in der Fabrik oder vor den Werkstoren, den langen Atem aufbringen, der nötig ist, bis VW tatsächlich als Abkürzung für Verkehrswende steht.

Peter Nowak

Eva Brunnemann, Tobi Rosswog (Hrsg):
VW heißt Verkehrswende
Konversion und Vergesellschaftung zwischen Theorie und Praxis
Verlag Graswurzelrevolution, Heidelberg 2024
70 Seiten, 5 Euro

ISBN 978-3-939045-52-6

Kostenloser Download und weitere Informationen:
verkehrswendestadt.de/vw-steht-fuer-verkehrswende


(K)eine Einführung

Der Ökofeminismus ist zurück – aber als was? Eine solidarisch-kritische Rezension

Im Zuge der sogenannten zweiten Welle des Feminismus entwickelte sich seit den 1970er Jahren aus dem Zusammengehen von feministischer Theorie mit ökologischen Ansätzen der „Ökofeminismus“ als Sammelbegriff für diverse Ausrichtungen dieser Symbiose. Die Entstehung des Ökofeminismus war eng verknüpft mit dem Gefühl, dass der „klassische“ Feminismus sich in einer Sackgasse befand und seinen eigenen Grundsätzen und Zielen nicht genügen konnte. In einer ähnlichen Situation befanden sich auch andere politische Strömungen dieser Zeit.

Beim Ökofeminismus konnte man zunächst grob zwischen zwei Strömungen unterscheiden: einem eher spirituellen Flügel, der unter anderem von der selbsternannten Wicca und Anarchistin Starhawk (Rabe Ralf August 2001, S. 1) repräsentiert wird und starke Bezüge zu der nicht unproblematischen Tiefenökologie aufweist, und einem sozialökologischen Ansatz, der häufig auf die Mitbegründerin des Libertären Kommunalismus, Janet Biehl, zurückgeführt wird.

Später verschwand der Begriff Ökofeminismus für lange Zeit aus den Debatten, weil er vielen als zu weit gefächert und damit als zu wenig aussagekräftig erschien. Seit ein paar Jahren erlebt er eine Renaissance – und droht erneut zu einem Gummibegriff zu werden, unter dem alles Mögliche zusammengefasst wird, zum Teil auch einander widersprechende Ansätze.

„Intersektional, queer, dekolonial, radikal“

In dieselbe Falle drohen die beiden Autorinnen Lina Hansen und Nadine Gerner sich in ihrer Einführung „Ökofeminismus zwischen Theorie und Praxis“ zu verrennen. Ökofeminismus wird dabei zu einer postmodernen Patchwork-Ideologie, die sich aus klassischem ökologischen Denken, Queerfeminismus, Arbeitskämpfen und postkolonialer Theorie speist. In diesem Verständnis verliert sich der Begriff in einer Beliebigkeit, mit der sich alles darunter fassen lässt, was sich selbst als feministisch versteht. Im dritten Kapitel ihres Buches beschreiben die Autorinnen ihren „bevorzugten“ Ökofeminismus so: „mehr als Nachhaltigkeit … kein liberaler Feminismus … intersektional … dekolonial … queer … radikal“. Der klassische, ursprüngliche Ökofeminismus gerät dabei zugunsten einer vermeintlichen Intersektionalität – der Begriff meint das Zusammenspiel verschiedener sozialer Faktoren bei Diskriminierung und Benachteiligung – streckenweise aus dem Blick.

Diese „Umdeutung“ des Begriffs erscheint mir persönlich sehr problematisch. Klassischer Ökofeminismus und Traditionen verblassen dabei – und Gegensätze in der Theorie werden kurzerhand weggewischt, auch wenn sie teilweise angesprochen werden. In großen Teilen des klassischen Ökofeminismus gab es zum Beispiel eine klare Betonung des biologischen Geschlechts, die mit queerfeministischen Ansätzen unvereinbar ist. Man fühlt sich an das sprechende Ei aus „Alice hinter den Spiegeln“ erinnert, das erklärte, ein Wort bedeute nur das, was es möchte, dass es bedeute.

Weltrettungsformel

Als Einführung in den Ökofeminismus ist dieses Werk nicht unbedingt geeignet, selbst wenn viele wichtige Theorien und Praxisformen dargestellt werden. Es ist der Aktivismus, der bei den Autorinnen durchscheint – und manchmal den klaren Blick auch zu verstellen droht. Dabei erklären sie selbstbewusst im ersten Kapitel, worauf der Ökofeminismus alles eine Antwort hat: etwa, warum Ökologie(n) und Natur(en) Fragen des Kolonialismus aufwerfen, oder was Pflegestreiks in Deutschland mit Subsistenzbäuer*innen in Indien und zapatistischer Selbstorganisation in Mexiko zu tun haben. Oder auch, dass wir nicht „rausfahren“ müssen, um in der Natur zu sein; dass der Begriff Umwelt fehlleitend ist, denn wir werden nicht von Natur umgeben, „wir sind Natur“. Zusammengefasst heißt dies für die Autorinnen: „Ökofeminismus nimmt all die unsichtbaren, unter- und unbezahlten Schultern, auf denen das kapitalistische System ruht, in den Blick.“

Der (Queer-)Feminismus oder Ökofeminismus als solcher wird dabei zu einer Weltrettungsformel verklärt, der auf jedes Problem angewendet werden kann und der für alles Antworten kennt. Viele Aktivist*innen scheinen schon fast eine religiöse Heilserwartung damit zu verknüpfen. Das klingt für mich durchaus anmaßend. Ich bin hingegen etwas skeptisch und würde mir eher ein Nebeneinander unterschiedlicher Ansätze in ihrer Mehrdeutigkeit wünschen – und die Kraft einer Bewegung, diese Widersprüche untereinander auszuhalten, statt alles unter einem Label zu vereinen und Gegensätze zu bestreiten oder zu verdecken.

Dabei ist der im Buch vorgestellte Ansatz – wie bei vielen traditionellen Feminismen – stark durch empirische und auch subjektive Erfahrungen geprägt. So wird eine längere Passage aus einer biografischen Schrift von Maria Mies (Rabe Ralf Oktober 2023, S. 18) als Beispiel herangezogen. Eigene Erfahrungen der Autorinnen fließen ebenfalls ein. Ähnlich verhält es sich mit anderen gewählten Beispielen aus der Praxis.

Aus Fehlern lernen?

Im historischen Kapitel werden einige Beispiele für ökofeministische Aktionen weltweit herausgesucht und dargestellt. Das fällt sehr subjektiv und leider etwas oberflächlich aus. Es ist gut, dass versucht wird, über einen westlichen Blick hinauszugehen, aber von konkreter Bedeutung für eine weltweite ökologische Bewegung sind die meisten der ausgewählten Beispiele nicht.

Zu erwähnen gewesen wäre hier meiner Meinung nach das Sachbuch „Der stumme Frühling“ der Biologin Rachel Carson aus dem Jahr 1962, das eine Art Initialzündung für eine Naturschutzbewegung war und eine wichtige weibliche Stimme im männlich dominierten Diskurs über Biologie und Ökologie ihrer Zeit darstellte. Oder auch die Schöpfung des Begriffs „Ökofeminismus“ durch Murray Bookchin (Rabe Ralf Februar 2021, S. 16), wie sie Janet Biehl in ihrer Bookchin-Biografie beschreibt.

Über den akademischen Diskurs selbst schreiben die Autorinnen etwas distanziert: „Ein Problem beim Einzug des Ökofeminismus in die wissenschaftlichen Institutionen in den 1990er-Jahren war, dass dadurch dem Ökofeminismus der Maßstab akademischer Theoriebildung, Konsistenz und Kohärenz angelegt wurde.“ Probleme wie das zeitweilige Verschwinden des Ökofeminismus aus dem Diskurs werden nicht angesprochen. Gerade hier wäre es sicherlich gut, aus Fehlern und Sackgassen der damaligen Theorie und Bewegung zu lernen.

Karikatur: Gabi Kopp/​Wikimedia Commons

Lieber nicht festlegen

Das zweite inhaltliche Kapitel widmet sich der „Theorie“. Dabei stellen die Autorinnen gleich klar, dass sie nicht vorhaben, eine Definition für Ökofeminismus zu geben. „Ökofeminismus wird je nach Autor*in und Strömung unterschiedlich verstanden, je nach Verständnis der Schreibenden oder auch je nach Praxis.“ Das macht die Lektüre leider nicht einfacher – und gerade von einer „Einführung“ würde man zumindest eine vorläufige Arbeitsdefinition erwarten, damit man sich orientieren kann. Was Hansen und Gerner stattdessen bieten, ist eine Übersicht von Aktionsfeldern und -formen, die ihrer Meinung nach dazugehören – Gesundheit, Wohlergehen, Klassenkampf, Mensch-Natur-Verhältnis, Antimilitarismus, Antikolonialismus … Erst ein ganzes Stück später liefern sie Abgrenzungen, aus denen sich eine Definition ableiten lässt.

Was sie klar ablehnen, ist ein Herunterbrechen auf die Formel „Frauen + Umwelt = Ökofeminismus“. Damit gehe ich persönlich konform. Als Versuch einer Annäherung an eine Definition kann man einige Fragen verstehen, die nach Meinung der Autorinnen prinzipiell für die ökofeministische Theorie sind. Dabei sind es sehr aktuelle „ökofeministische“ Positionen. Mehrere von ihnen angesprochene Aspekte würde man so an keiner Stelle in den „Klassikern“ finden.

Sie sind sich zwar bewusst, dass es unterschiedliche, teils völlig entgegengesetzte Ansätze im „Ökofeminismus“ gibt, aber diese werden ein Stück weit heruntergebügelt oder umgedeutet, um sie passend für die eigenen Argumentationsmuster zu machen. Zumindest hat man das Gefühl, dass zugunsten einer Harmonie und Einheitlichkeit die kritischen Positionen zwar angesprochen, aber nicht zu Ende gedacht werden.

Danach machen Hansen und Gerner drei Etappen der Entstehung von Ökofeminismen aus und versuchen einzelne Strömungen als solche zuzuordnen. An manchen Stellen würde man sich bei einer solchen Herangehensweise auch eine kritische antikapitalistische Haltung wünschen. Den Aktivismus von Starhawk zu feiern und gleichzeitig zu verschweigen, dass sie sich für Auftritte bei Protesten bezahlen lässt, ist schade, von anderen kritischen Punkten bei ihr ganz abgesehen. Janet Biehl wird hingegen relativ drastisch kritisiert. Gerade ihre Positionen scheinen mir aber wichtig für die theoretische Fundierung und Ausdifferenzierung innerhalb des ökofeministischen Spektrums zu sein.

Deutungen und Umdeutungen

Ein weiteres Kapitel widmet sich den Debatten im und um den „Ökofeminismus“. Hier zeigen sich einige Stärken der Autorinnen, die sich wahrscheinlich auch aus der eigenen Praxis ergeben – wenn es etwa um sogenanntes Superfood und andere Ernährungsfragen geht, wo intersektionale Perspektiven deutlich gemacht werden.

Das anschließende Kapitel behandelt „ökofeministische Gesellschaftskritik“, die vorrangig auf den Kapitalismus und seine Auswirkungen gerichtet ist – sowie auf das Patriarchat und den Kolonialismus. Auch hier zeigen sich sehr gute Ansätze. Vielleicht hätten die Autorinnen besser eine hierauf bezogene Einführung verfasst. Allerdings fehlen hier auch die spezifisch ökofeministischen Perspektiven. In meinen Augen sind es sehr allgemeine feministische Ansätze. Wenn es um das Verhältnis zur „Natur“ geht, vermisse ich auch eine Definition dessen, was „Natur“ im jeweiligen Kontext ist.

Im abschließenden Kapitel geht es wieder um die Praxis. Hierbei wird unter anderem auf die autonome Zone ZAD in Frankreich oder auf Nordkurdistan eingegangen.

Alles in allem habe ich große Schwierigkeiten mit dieser „Einführung“. Fraglos ist eine Einführung in Ökofeminismen und ein Weiterdenken und -praktizieren unbedingt nötig. Dieses Buch scheint mir allerdings dafür nicht geeignet zu sein. Neben einzelnen blinden Flecken – zum Beispiel historischer und begriffsgeschichtlicher Natur – ist es auch eine Reihe von (Um-)Deutungen, die mir negativ ins Auge springen. Hansen und Gerner mögen praktizierende Ökofeministinnen sein, sehr viel Wissen über Feminismus haben und damit wichtige und gute Arbeit leisten, aber ihre „Einführung“ ist als solche leider nicht zu empfehlen. Das Buch scheint eher das Anwerben neuer Aktivist*innen für die Sache zum Ziel zu haben als eine klassische theoretische Einführung sein zu wollen. Das ist legitim, aber es ist eben etwas anderes.

Maurice Schuhmann

Lina Hansen, Nadine Gerner:
Ökofeminismus zwischen Theorie und Praxis
Eine Einführung
Unrast Verlag, Münster 2024
300 Seiten, 19,80 Euro
ISBN 978-3-89771-379-6


Die unbesiegbare Sonne

Die russische Philosophin Oksana Timofejewa will die solare Revolution

Oksana Timofejewa ist eine mutige Frau. Nicht nur, weil die Russin ihr Land nicht verlassen hat und ihre oppositionelle Arbeit fortsetzt, sondern auch, weil sie deutschen Linken versucht hat zu erklären, dass Putin ein imperialistischer Tyrann sei, mit dem es keine Verständigung geben könne. Auf Youtube findet man noch die Grußrede, die sie 2022 auf dem Bundesparteitag der Linken in Erfurt hielt. Dort sagte sie: „Das Streben nach Ausdehnung der Staatsgrenzen durch Aggression gegen Nachbarländer gehört zur Politik des russischen Raubtierkapitalismus, der sich auf den Handel mit Öl und Gas stützt.“ Die Rede endete mit: „Frieden für die Ukraine! Freiheit für Russland!“

Oksana Timofejewa erregte in Deutschland bereits 2022 Aufsehen mit ihrem autobiografischen Essay „Heimat. Eine Gebrauchsanweisung“. Der Text erschien kurz nach Beginn des russischen Großangriffs. Timofejewa erkundet darin die Möglichkeiten eines nicht-regressiven Bezugs auf „Heimat“. Dass dies in einem Land, das zunehmend totalitäre Züge trägt, besonders schwierig ist, weiß die Autorin am besten.

Die große Verschwendung

Despoten wie Putin haben schon immer die Angewohnheit gehabt, sich mit der Sonne zu vergleichen oder gleichzusetzen, um ihre Allmächtigkeit zu betonen. In ihrem Essay „Solarpolitik“ geht Timofejewa auf die Geschichte dieser herrschaftlichen Ikonografie ein. Schnell macht sie allerdings klar, dass die „Herrschaft der Sonne“ eher zum Regimesturz als zur Regimestütze taugt. Schließlich stützt sich auch Putins System gerade nicht auf Solarenergie, sondern auf Öl und Gas.

Timofejewa beruft sich auf den exzentrischen Philosophen und Anthropologen Georges Bataille. Bataille hat die Verschwendung zu einem kosmischen Prinzip erklärt, in dessen Zentrum die sich verausgabende und schenkende Sonne steht. Timofejewa zeigt, warum gerade eine von Ressourcenknappheit bedrohte Erde zur wahren Verschwendung zurückfinden muss. Mit Bataille polemisiert sie gegen die „beschränkte Ökonomie“ der kapitalistischen Weltvernutzung und beschreibt eine „allgemeine Ökonomie“, die die Natur miteinschließt. Sie will nicht nur eine Solar-, sondern auch eine Gesellschaftsrevolution. Es geht ausdrücklich nicht nur um Strom und Wärme, sondern um einen allumfassenden Wandel. Das klingt abstrakt. Es muss aber betont werden, dass die Autorin nie philosophisch abhebt.

Sonne als Gefährtin

Timofejewas Buch wurde kritisiert, weil es keine praktischen Vorschläge enthält. Das ist aber auch gar nicht sein Anspruch. Die Russin skizziert die Wegmarken einer kopernikanischen Gesellschaftswende, um von da aus die Suche nach konkreten Pfaden zu einer solar-solidarischen Zukunft zu eröffnen. Eine große Aufgabe, bei der wir aber nicht allein sind, denn, „die Sonne“, so die Autorin, „ist unsere Genossin“.

Johann Thun

Oxana Timofeeva: Solarpolitik
Ein philosophischer Essay über Sonne, Natur und Gewalt
Matthes und Seitz, Berlin 2024
125 Seiten, 18 Euro
ISBN 978-3-7518-0408-0


Depression in Zorn verwandeln

Die Lehre aus Milliarden Jahren Klimageschichte: Ein Umsteuern ist dringend, aber möglich

Beim Lesen dieses Buches tauchen wir ein in die Welten der 4,5 Milliarden Jahre alten Geschichte des für uns derzeit bewohnbaren Planeten. Die Dimension der einzelnen Zeitalter und der immensen Wandlungsprozesse der Erde, das Chaos der Elemente, das Zusammen- und Gegeneinanderspiel unzähliger großer und kleiner Teilchen, geologischer Formationen, Gasgemische, Wasser in verschiedenen Aggregatzuständen, dann schließlich die Entstehung von Organismen, deren Anpassung an die Biotope oder deren Aussterben. Und dann der kurze Zeitraum der Entwicklung von Menschen seit dem Holozän.

Das Buch ist ein weitgehend verständlicher Überblick über die Erforschung der Geschichte des Klimas, die sich verändernden Rahmenbedingungen sowie die Lehren, die heute daraus gezogen werden sollten. Der Autor Michael Mann, Paläoklimatologe an der Universität von Pennsylvania, ist einer der bedeutendsten Geowissenschaftler weltweit.

Eine Nische für den Menschen

Klimaveränderungen sind Teil eines hochkomplexen, dynamischen und von manchen Zufällen beeinflussten Prozesses. Positive und negative Rückkopplungen subtiler Art müssen erforscht werden. In den verschiedenen Phasen großen Artensterbens gab es einige Sieger und sehr viele Verlierer.

In der Vergangenheit begünstigten einige Klimaschwankungen die Entwicklung und Ausbreitung unserer Vorfahren. So schuf zum Beispiel die Austrocknung der Tropen während des Pleistozäns eine Nische für frühe Hominiden, die in den neu erstandenen Savannen Beute jagen lernten. Und die plötzliche Abkühlung im Nordatlantik vor 13.000 Jahren erforderte die Entwicklung der Landwirtschaft und die Weiterentwicklung des Gehirns. Doch der Temperaturbereich, in dem Menschen dauerhaft existieren können, ist klein und darf nicht verletzt werden.

Die Schockstarre überwinden

Der rote Faden im Buch, der den Wandel des komplexen Systems Erde beschreibt, erweist sich beim genauen Hinsehen als interagierendes Gewebe von in dynamischen Beziehungen zueinander lebenden Strukturen und Systemen, von entzifferbaren Mustern und undurchschaubaren Wechselwirkungen.

Dem Autor geht es vor allem darum, zu zeigen, ob und inwiefern frühere Zeitalter, Übergänge und Ereignisse Rückschlüsse auf die heute absehbaren klimatischen Veränderungen zulassen. Sein Fazit: Wenn sofort vehement umgesteuert wird, bleiben die Gefahren gering. Zugleich beschreibt Michael Mann den filigranen wissenschaftlichen Forschungsprozess, das Bemühen um immer besseres Verstehen der klimatischen Zusammenhänge.

Mann sagt, die derzeitige Herausforderung sei nicht mehr so sehr das Bestreiten des menschengemachten Klimawandels, sondern der Weltuntergangsglaube, die Schockstarre gegenüber der vermeintlichen Katastrophe. Angesichts der unzureichenden Klimapolitik rät er: „Anstatt in Untergangsstimmung und Depression zu verfallen, muss die Enttäuschung in berechtigten, rechtschaffenen Zorn umgewandelt werden. Die Forschung zeigt, dass Wut im Gegensatz zu Emotionen wie Furcht, Angst und Depression tatsächlich zu Stärkung, Engagement und Handeln führt. Kurz gesagt, wir müssen den wahren Feind erkennen – die üblen Akteure der fossilen Brennstoffindustrie und ihre Helfershelfer – und diese Wut und Frustration in politisches Handeln transformieren.“

Edgar Göll

Michael E. Mann:
Moment der Entscheidung
Wie wir mit Lehren aus der Erdgeschichte die Klimakrise überleben können
Oekom Verlag, München 2024
384 Seiten, 34 Euro
ISBN 978-3-98726-069-8


Wenn Frösche vor Gericht ziehen

Immer mehr Ökosysteme werden als eigene Rechtspersönlichkeiten anerkannt

Was wäre, wenn ein Fluss eine eigene Rechtspersönlichkeit hätte? Was wäre, wenn ein Berg ein Recht auf Existenz hätte? Was wäre, wenn Tiere eigene Rechte vor Gericht einklagen könnte? Um diese Fragen drehen sich die Beiträge im Band „Rechte für Flüsse, Berge und Wälder“, der von Matthias Kramm herausgegeben wurde. In vier Kapiteln bieten sie einen Überblick darüber, mit welchen Instrumenten und Möglichkeiten der Natur eine Rechtspersönlichkeit zugeschrieben werden kann und welcher positive Nutzen sich daraus ergibt.

Die Idee, Ökosysteme mit eigenen Rechten auszustatten, ist an sich nicht neu (Rabe Ralf August 2019, S. 22). Matthias Kramm, der als promovierter politischer Philosoph an der Nationalen Autonomen Universität von Mexiko und an der Universität Wageningen in den Niederlanden die Rechte der Natur erforscht, stützt sich auf eine Schrift des US-amerikanischen Juraprofessors Christopher Stone aus dem Jahr 1972. Stone entwickelt darin das Konzept der Rechte der Natur, um ein geplantes Ski-Resort des Walt-Disney-Konzerns in Kalifornien zu verhindern. Durch das neue Tourismusgebiet drohte dem Tal ein ökologischer Schaden, den es abzuwenden galt.

Vorbild Ecuador

Stones Ideen wurden lange Zeit nur von lokalen Initiativen übernommen. Erst im Jahr 2008 kam es zu einer Zäsur: Als erster Staat weltweit nahm Ecuador die Rechte der Natur in seine Verfassung auf. Es war das Ergebnis jahrelanger Konflikte um Bergbauprojekte, denn Ecuador ist nicht nur reich an Biodiversität, sondern auch an Rohstoffen wie Erdöl, Gas und Kupfer. Zahlreiche indigene Gemeinschaften sind von Bergbauprojekten betroffen. Vertreter aus diesen Gemeinschaften sowie aus dem Naturschutz und anderen sozialen Bewegungen waren Teil der Verfassunggebenden Versammlung Ecuadors, die 2007 einberufen wurde. So wurde der Artikel 71, der der Natur eigene Rechte zuweist, in die neue Verfassung aufgenommen, welche nach einer Volksabstimmung im Jahr 2008 in Kraft trat.

Das neue Instrument hat sich in Ecuador erst mit der Zeit etabliert. Ein Gerichtsverfahren aus dem Jahr 2020 veranschaulicht die positiven Auswirkungen: Das bereits genehmigte Bergbauprojekt Llurimagua im Norden des Landes bedrohte ein Ökosystem, in dem zahlreiche vom Aussterben bedrohte Tierarten leben. Frösche, die als endemische Arten nur an diesem einen Ort der Welt vorkommen, klagten gegen das Bergbauprojekt. Vertreten durch eine Biologin forderten sie auf diesem Wege Schutzmaßnahmen für das ganze Ökosystem ein – und bekamen Recht.

Unternehmen können klagen, die Natur nicht

Es sind Beispiele, die Mut machen. Inzwischen haben sich rund 500 Gruppen und Initiativen in 45 Ländern weltweit zusammengefunden, um sich für die Rechte der Natur als juristische Ergänzung zum bestehenden Umweltschutz einzusetzen. Auch in Deutschland gibt es regionale Initiativen. Zu nennen ist hier etwa ein Volksbegehren in Bayern, das von Hans Leo Bader von der Deutschen Umweltstiftung initiiert wurde. Auch in Thüringen und Brandenburg setzen sich Initiativen für eine Reform der jeweiligen Landesverfassungen ein.

Daneben werden auch Ansätze diskutiert, das Grundgesetz entsprechend zu reformieren. Derzeit ist der Umweltschutz nur als Staatszielbestimmung im Grundgesetz verankert. Artikel 20a, der die entsprechende Regelung enthält, betont lediglich den objektiv-rechtlichen Schutz der Natur und der Umwelt. Subjektive Rechte, die es der Natur ermöglichen würden, vor Gericht zu klagen, sind nicht vorgesehen. Dagegen können Unternehmen genauso wie Menschen Rechtssubjekte sein, also über eigene Rechte verfügen. Wirtschaftlichen Interessen werden somit mehr rechtliche Möglichkeiten eingeräumt als ökologischen Interessen. Beheben ließe sich dies beispielsweise durch eine Verfassungsänderung.

Doch die konkrete juristische Umsetzung wirft Fragen auf. Sie betreffen etwa die genaue Definition des Naturbegriffs, aber auch Aspekte der rechtlichen Vertretung. Wer darf für die Natur sprechen? In Ecuador etwa kann dies jede Person und jede Vereinigung sein. In Kolumbien hingegen, wo das Verfassungsgericht dem Fluss Atrato im Jahr 2018 eine eigene Rechtspersönlichkeit zugesprochen hat, wurde eine pluralistische Kommission gebildet, die sich für die Interessen des Flusses einsetzt. Im Fall des Flusses Whanganui in Neuseeland übernehmen speziell ausgewählte Repräsentanten die rechtliche Vertretung. Dort unterzeichneten Vertreter der indigenen Maori und der neuseeländischen Regierung im Jahr 2014 nach jahrelangen Rechtsstreitigkeiten eine Erklärung, die dem Whanganui den Status einer Rechtsperson zusprach – als erstem Fluss weltweit.

Nicht nur ein juristisches Konzept

Die Debatte um die Rechte der Natur ist eine vielschichtige. Neben juristischen, politischen und ökologischen Aspekten beinhaltet sie letztlich auch eine kulturelle Dimension, die es zu berücksichtigen gilt. Wie verstehen wir die Welt, in der wir leben und wo sehen wir uns selbst darin? Indigene Sichtweisen bieten die Möglichkeit, unser Verhältnis zur Natur neu zu überdenken. Matthias Kramm stellt die Philosophie der Maori beispielhaft vor, die den neuseeländischen Gesetzestext beeinflusst hat. Entgegen der westlichen Anschauung, die die Natur den menschlichen Interessen unterordnet, folgen die Maori dem Prinzip der Reziprozität, das Mensch und Natur in einer wechselseitigen Beziehung sieht.

Insofern sind die Rechte der Natur mehr als ein juristisches Konzept. Sie haben sich zu einer globalen Bewegung entwickelt, die Ökosysteme vor Gericht wehrhafter machen will. In Spanien gelang dies im Jahr 2022, als das Mar Menor, eine Salzwasserlagune am Mittelmeer in der Region Murcia, eine eigene Rechtspersönlichkeit erhielt – als erstes Ökosystem in Europa überhaupt.

Im Ergebnis bietet das Buch auf 112 Seiten einen kompakten Überblick über die wichtigsten Aspekte zu diesem Thema. Es ist informativ und kompakt geschrieben und eröffnet einen Einblick in die Debatte über die Rechte der Natur als eine Idee des globalen Südens, die auch für den globalen Norden wegweisend sein kann.

Sandra Diekhoff

Matthias Kramm (Hrsg.):
Rechte für Flüsse, Berge und Wälder: Eine neue Perspektive für den Naturschutz?
Oekom Verlag, München 2023
112 Seiten, 20 Euro
ISBN 978-3-98726-039-1

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