Schöneberger Gasometer in Gefahr

Aus DER RABE RALF April/Mai 2021, Seite 16

Eigentümerinteressen oder Denkmalschutz und Bürgerbeteiligung – wie entscheidet die Politik?

Noch ist der Gasometer offen. Unten die Veranstaltungshalle, in der Günter Jauch vier Jahre seine Talkshow im Ersten moderierte. (Fotos: Elisabeth Voß)

Ein Haus vermieten, das es gar nicht gibt, ja, für das noch nicht einmal eine Baugenehmigung vorliegt – wo gibt es so etwas? Was unglaublich klingt, scheint in Berlin-Schöneberg ganz normal zu sein. Jedenfalls nach Ansicht von Baustadtrat Jörn Oltmann (Grüne). Es handelt sich nicht um irgendein Haus, sondern um ein Hochhaus für 2.000 Büroarbeitsplätze, das in den Schöneberger Gasometer auf dem sogenannten „Euref-Campus“ hineingebaut werden soll. Dagegen gibt es Bedenken und Proteste.

Das etwa 5,5 Hektar große ehemalige Gasag-Gelände auf der „Roten Insel“ an der Torgauer Straße wurde in den 1990er Jahren – der Zeit des großen Ausverkaufs – mit dem Verkauf des bis dahin öffentlichen Unternehmens Gasag privatisiert. Bis zur Stilllegung 1995 hob und senkte sich der Gasbehälter im Inneren des Gasometers, je nach Stand der Füllung. Seitdem ist der Blick durch das filigrane Stahlgerüst jederzeit möglich. Doch damit wird es bald vorbei sein, wenn es nach dem Vorhabenträger Reinhard Müller geht. Müller, SPD-Mitglied, erwarb das Gasometer-Grundstück 2007 mit seiner Firma Denkmalplus zum Schnäppchenpreis von einer Million Euro.

Beste Beziehungen in politische Kreise

2011 veröffentlichte der Journalist Mathew Rose das Buch „Korrupt? Wie unsere Politiker und Parteien sich bereichern – und uns verkaufen“. Darin widmete er dem Euref und Reinhard Müller ein 32-seitiges Kapitel unter der Überschrift „Das erste Privatenergie-Universitäts-Partyzelt der deutschen Hauptstadt“. Euref steht für „Europäisches Energie Forum“ und Rose beschreibt, wie der „Baulöwe“ Müller mit Erzählungen von einer vermeintlich geplanten Energie-Universität Politiker aller Parteien gewinnen konnte. Unterstützung bekam er von Frank-Walter Steinmeier und Sigmar Gabriel (beide SPD) ebenso wie vom ehemaligen CDU-Umweltminister Klaus Töpfer und von Ex-Außenminister Joschka Fischer (Grüne). Auch Immobilienentwickler wie Klaus Groth (Berlin) oder Andrej Ogirenko (Moskau) und sogar die Zeit-Stiftung setzten sich für das wohlklingende Vorhaben ein. Müller umgibt sich gerne mit einflussreichen Personen. Zum „exklusiven Euref-Golfcup in Wannsee“ mit anschließendem Barbecue von Spitzenköchen lud er „Altkanzler Gerhard Schröder, den ehemaligen Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit und die beiden Ex-Senatoren Peter Strieder (SPD) und Jürgen Klemann (CDU)“ ein (Morgenpost, 1.9.2020). Der frühere Berliner Bausenator Peter Strieder sitzt heute im Aufsichtsrat der Euref AG.

Doch die Universitäts-Pläne zerschlugen sich. Stattdessen entwickelte Müller ein Innovationszentrum auf dem Gelände. Unter dem damaligen Baustadtrat Bernd Krömer (CDU) wurde die vorläufige Planreife für die ersten Gebäude festgestellt, womit der Grundstückswert der ursprünglichen Brache, die nun – zwar nicht planungsrechtlich, aber faktisch – zu Bauland wurde, sich vervielfachte. Seine Neubauten ließ sich Müller mit dem US-amerikanischen LEED-Ökosiegel auszeichnen. Das wird vom U.S. Green Building Council vergeben, „einer US-amerikanischen Lobby-Organisation für privatwirtschaftliche Bau- und Immobilienunternehmen zum Thema ökologisches Bauen“, wie der frühere Bezirksverordnete der Grünen, Rolf Brüning, erläuterte. Wegen der geringen Akzeptanz in der Bevölkerung für Großbauprojekte werde „zunehmend auf PR-Maßnahmen zurückgegriffen“, so Brüning. Solche Vereinigungen, deren Aufgabe es sei, „objektiv und integer zu erscheinen“, würden „zu Handlangern der PR-Agenturen. Sie ermöglichen erst die Geschäfte der sogenannten Investoren und deren Durchsetzung gemeinsam mit Politik und Behörden, die dieses Spiel – oft unter dem Deckmantel des Gemeinwohls – mitspielen.“ (MieterEcho Juni 2016)

Immobilienprojekt mit grüner PR

Der Bauzaun an der Torgauer Straße ist großflächig mit Parolen der neuen Stadtmarketing-Kampagne #wirsindeinberlin gepflastert. Da finden sich Plakatwände mit Sprüchen wie: „Du: allein im Labor. Ich: Single in Berlin. Wir beide: experimentelle Phase.“ Oder: „Du: Roboter. Ich: Mensch. Wir beide: Kolleginnen.“ Erstaunlich, wofür in Berlin öffentliches Geld ausgegeben wird.

Die Parolen der neuen Berlin-Kampagne passen zum Euref.

Für die Senatsverwaltung für Wirtschaft ist das Euref ein Referenzort für die Smart-City-Strategie des Landes (Rabe Ralf Oktober 2019, S. 16). Es gehört zu den elf vom Land Berlin geförderten „Zukunftsorten“: „Mit klimaneutraler Energieversorgung, einem intelligenten Energienetz, energieeffizienten Gebäuden, einer Erprobungsplattform für Elektromobilität und zahlreichen Forschungsprojekten“ werde dort „tagtäglich der Beweis erbracht, dass die Energiewende machbar und finanzierbar ist“. Der Campus erfülle „bereits seit 2014 die CO₂-Klimaziele der Bundesregierung für das Jahr 2050“.

Wie kann das Euref-Gelände ein Beispiel für zukünftig klimagerechtes städtisches Leben sein? Es ist kein Wohnort, keine Nachbarschaft, sondern ein Technologiezentrum mit überwiegender Büronutzung. Spricht nicht der ausgeprägte Fokus auf Digitaltechnologien eher für unüberschaubare Folgekosten beim Ressourcen- und Energieverbrauch? Zur sogenannten „Klimaneutralität“ erklärte erst kürzlich die Wissenschaftlerin Eva Rechsteiner vom Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (Ifeu), dass es die „nur auf dem Papier“ gebe. Statt CO₂-Emissionen vor Ort zu senken, würden oft fragwürdige Kompensationsmaßnahmen durchgeführt oder Zertifikate erworben, mit denen der Ausbau erneuerbarer Energien „in keiner Weise“ gefördert werde. Mit Klimagerechtigkeit sei Klimaneutralität, „wie sie derzeit umgesetzt wird, quasi unvereinbar“ (Freitag, 28.1.2021).

Auf dem Euref-Gelände mit derzeit etwa 150 Unternehmen und 3.500 Beschäftigten eröffneten am 10. September 2020 zwei Tesla-Manager gemeinsam mit Reinhard Müller und Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) eine Schnellladestation für Elektroautos – allerdings nur für Teslas, nicht für andere Marken, wie die Berliner Morgenpost mitteilte. Begleitet wurde Altmaier von der Berliner Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne), die Tesla begeistert als „Pionier der Energiewende“ lobte. Dagegen führte vor über zwei Jahren Merle Groneweg von der Nichtregierungsorganisation PowerShift im Raben Ralf aus, was sich langsam herumgesprochen haben sollte: dass E-Autos „ökologischer Irrsinn“ sind und dass wir „weniger Autos brauchen und nicht nur einen anderen Antrieb“ (Dezember 2018, S. 16). „Tesla produziert keinen Klimaschutz“, schrieb die Bundestagsabgeordnete der Linken, Sabine Leidig, hier vor einem Jahr. In der gleichen Ausgabe kritisierten zahlreiche NGOs: „Ein Tesla macht noch keine Verkehrswende“ (April 2020, S. 21).

Schöneberger Gasometer retten!

Aus Protest gegen die Ausbaupläne für den Gasometer hat sich die Bürgerinitiative (BI) „Gasometer retten!“ gegründet. Mit einem offenen Brief kritisierte sie, dass das Bezirksamt am 8. September 2020 beschlossen hatte, eine höhere als die bisher vorgesehene Innenbebauung des Gasometers zuzulassen. Dadurch würde die herausragende stadtbildprägende Wirkung des Gasometers massiv beeinträchtigt. Ursprünglich sollte das Innere des Gasometers 57 Meter hoch, bis zum dritten Ring von oben bebaut werden, so dass die zwei obersten Abschnitte frei bleiben und eine Durchsicht ermöglichen.

Vor über zehn Jahren, am 7. Oktober 2010, äußerte sich das Landesdenkmalamt dazu: „Dem Bebauungsplan wird unter Zurückstellung erheblicher denkmalpflegerischer Bedenken zugestimmt“. Dieser Bebauungsplan wurde jedoch nie festgesetzt, die Bebauung des Grundstücks erfolgte nur mit Genehmigungen aufgrund vorläufiger Planreife.

Mit dem neuen Bezirksamtsbeschluss wurde der Bebauungsplanentwurf verändert. Er sieht nun eine Innenbebauung bis zum vorletzten Ring vor, auf die sogar noch eine Kuppel als Staffelgeschoss aufgesetzt werden soll, die bis ins oberste Feld hineinragt. Das Bürohochhaus soll nun 71,5 statt 57 Meter hoch werden. Der Landesdenkmalrat, ein vom Senat berufenes Beratungsgremium, dem die neuen Überlegungen schon im Frühjahr vorgestellt wurden, hatte diese im März 2020 „mit Befremden zur Kenntnis“ genommen. Er befürchtet, „dass das filigrane Gerüst des Gasometers bei der projektierten Bebauung nicht mehr angemessen wahrzunehmen sein wird“.

Manche AnwohnerInnen fürchten sogar um den Bestand des Gasometergerüsts insgesamt. Vertreter des Landesdenkmalrats (LDR) hatten den Gasometer im November 2016 besichtigt, dabei fielen ihnen „Details auf, die Maßnahmen erfordern (Rostschutz, kritische Punkte an 24 Stützenfüßen, Schimmelbildung)“. Sie bemängelten, es „fehlten bisher offensichtlich Informationen über die ausgewählten und beabsichtigten Schritte zur Sanierung“, und hielten fest: „Der Landesdenkmalrat erwartet, dass beim Ausbau des Gasometers die historische Substanz, namentlich auch des unteren Rings, vollständig erhalten wird“.

Passiert ist bisher nichts, entgegen der im Bezirk getroffenen rot-grünen Zählgemeinschaftsvereinbarung vom November 2016: „Wir setzen uns ebenso dafür ein, dass die Instandsetzung des Gasometers zügig begonnen wird, um einem weiteren Verfall dieses wichtigen Industriedenkmals entgegenzuwirken.“

Zweifelhafte Nachverdichtung

Die AnwohnerInnen fürchten auch Verschattungen der Flächen im Gasometer-Park, in den angrenzenden Gebäuden und im Straßenraum. Sie kritisieren grundsätzlich die weitere Verdichtung und Versiegelung, die nachteilig für das Klima und den Luftaustausch sei. Damit das Gelände erreichbar ist, sollte Reinhard Müller ursprünglich eine Zufahrtsstraße bauen, denn bisher gibt es nur eine Zufahrt über die Torgauer Straße. Baustadtrat Jörn Oltmann hatte sich lange gegen die Genehmigung weiterer Gebäude auf dem Gelände gestellt, solange der Vorhabenträger dieser Verpflichtung nicht nachkommt. Doch dann schwenkte er um. Eine neue verkehrstechnische Untersuchung ergab, dass selbst bei weiteren 2.000 Arbeitsplätzen auf dem Gelände die alleinige Zufahrt über die Torgauer Straße ausreichend sei, denn viele kämen mit dem Rad oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Die Torgauer Straße soll nun als Fahrradstraße „ertüchtigt“ werden.

Es fällt schwer sich vorzustellen, wie sich auf dieser schmalen Straße, die nicht verbreitert werden kann, FußgängerInnen, Radfahrende und Autos zügig und sicher gemeinsam bewegen sollen. Wenn im Notfall Rettungs- und Feuerwehrwagen schnell auf das Gelände und von dort wieder wegkommen müssen, scheint ein Desaster vorprogrammiert. Bis zu 7.000 Arbeitsplätze sollen einmal auf dem Euref-Gelände angesiedelt werden. Durch den Verzicht auf die ursprünglich vorgesehene Planstraße spart Müller millionenschwere Investitionen zulasten der Sicherheit von Beschäftigten und PassantInnen.

„Schwerwiegende Mängel“ im Beteiligungsverfahren

Am Infostand auf der „Roten Insel“ sammelt die BI samstags Unterschriften.

Die Bürgerinitiative sammelt online und an Straßenständen Unterschriften für eine Petition „Den Gasometer in Berlin-Schöneberg retten – Denkmalschutz vor Investoreninteressen!“. Ein BI-Vertreter konnte die Bedenken gegen die Höherbebauung des Gasometers im Dezember 2020 im bezirklichen Stadtentwicklungsausschuss vortragen. Dort erwähnte er auch die damals schon gesammelten 5.000 Unterschriften. Stadtrat Oltmann kommentierte dies mit dem entmutigenden Hinweis, diese würden der BI nichts nützen und hätten keine rechtliche Wirkung. Mittlerweile gibt es weit über 9.000 Unterschriften allein bei der Online-Petition auf change.org.

Die baurechtlich vorgeschriebene Öffentlichkeitsbeteiligung und die Beteiligung der Träger öffentlicher Belange fand vom 25. Januar bis 24. Februar 2021 statt. In diesem Zeitraum konnten Stellungnahmen zum Bebauungsplan („B-Plan“) abgegeben werden. Die ehemalige Bezirksbürgermeisterin Elisabeth Ziemer (Grüne) stellte ihre „Einsprüche und Anregungen zum B-Plan 7-29“ der BI zur Veröffentlichung zur Verfügung. Sie beruft sich auf Paragraf 1 des Baugesetzbuchs, wo es heißt: „Bauleitpläne sollen eine nachhaltige städtebauliche Entwicklung, die die sozialen, wirtschaftlichen und umweltschützenden Anforderungen auch in Verantwortung gegenüber künftigen Generationen miteinander in Einklang bringt, und eine dem Wohl der Allgemeinheit dienende sozialgerechte Bodennutzung unter Berücksichtigung der Wohnbedürfnisse der Bevölkerung gewährleisten.“ Dazu stellt sie klar und deutlich fest: „Dieses Ziel sehe ich mit dem vorliegenden Bebauungsplan nicht erreicht“.

Im ganzen Verfahren sieht Ziemer „schwerwiegende Mängel“. Sie fordert beispielsweise, wegen Bodenbelastungen das Grundwasser weiterhin zu untersuchen, statt das Monitoring wie geplant einzustellen, denn sie habe den „Eindruck, dass der Eigentümer von den Belastungen freigestellt werden soll“. Ziemer kritisiert schärfstens, dass laut Begründung des Bezirksamts kein Ausgleich für die „erheblichen nachteiligen Umweltauswirkungen“ mehr erforderlich sei, weil „die Eingriffe bereits vor der planerischen Entscheidung erfolgt sind oder zulässig waren“, und kommentiert dies sarkastisch: „Prima, besten Dank für die vielen Baugenehmigungen ohne B-Plan!“ Verbindliche vertragliche Vereinbarungen, Fristen und Konsequenzen beim Zuwiderhandeln fehlten. Sie fragt kritisch nach, warum Dach- und Fassadenbegrünung nur empfohlen statt vorgeschrieben werden, welche Festsetzungen es dafür gibt und warum die anderen Neubauten auf dem Gelände nicht begrünt werden sollen, obwohl es doch im Gebiet ein Grünflächendefizit gibt. Als „Irreführung der Öffentlichkeit“ bezeichnet sie die Behauptung, die Innenbebauung des Gasometers werde „grundsätzlich von den Denkmalschutzbehörden mitgetragen“.

Dem ökologischen Anspruch des Reinhard Müller erteilt Ziemer eine klare Absage, denn es handele sich nicht „wie ursprünglich vom Eigentümer behauptet“ um eine Energieuniversität, sondern hier entstehe „hauptsächlich ein Bürostandort mit Hotel und Gastronomie und einem sehr kleinen Bereich eines An-Instituts der TU Berlin. Von einem Forschungscampus kann nicht mehr die Rede sein.“ Daher empfiehlt sie, sich von der Bezeichnung „Euref-Campus“ zu verabschieden. Dass die Verwendung von Erdgas oder Heizöl EL (extra leichtflüssig) als Brennstoff vorgeschrieben ist, findet sie „für einen angeblichen Energieforschungsstandort doch etwas rückwärtsgewandt“. Abschließend hofft Elisabeth Ziemer, „dass die Bürgerbeteiligung ihren Namen verdient und Einwendungen tatsächlich aufgegriffen und nicht nur weggewogen werden“.

Warum sind die Grünen umgefallen?

Im letzten Wahlprogramm hatten die Grünen Tempelhof-Schöneberg noch geschrieben, sie hätten die Euref-Planungen kritisiert und sich eine andere Bebauung gewünscht. Sie wollten darauf beharren, „dass auch ein Projekt mit solch innovativen Unternehmenszielen in Dimensionen realisiert werden muss, die dem bezirklichen Umfeld angemessen sind. Es darf nicht dazu führen, dass im Interesse eines Investors geltendes Planungsrecht außer Kraft gesetzt wird.“ Standhaft hatte Stadtrat Oltmann sich geweigert, weitere Teil-Baugenehmigungen zu erteilen, bevor nicht Reinhard Müller seinen Verpflichtungen, insbesondere zur Errichtung der vereinbarten Planstraße, nachkäme.

Doch dann wendete sich das Blatt und der grüne Stadtrat setzte sich für die Höherbebauung des Gasometers ein. Dies begründet er damit, dass der Eigentümer bereits einen Mietvertrag über das Bürohochhaus im Inneren des Gasometers abgeschlossen habe. Darin sei dem Mieter – einem bedeutenden Unternehmen der Mobilitätsbranche – Platz für 2.000 Arbeitsplätze zugesichert worden. Nach Rätselraten, wer dieser Mieter sei – vielleicht Tesla? – steht nun fest: Es ist die Deutsche Bahn. Auf Nachfrage bestätigte die Pressestelle der Bahn, dass ein Mietvertrag bereits abgeschlossen wurde. Ob dieser davon abhängig gemacht wurde, dass dort 2.000 Arbeitsplätze untergebracht werden können und auf keinen Fall weniger, gab es keine Antwort.

Das denkmalgeschützte Gerüst rostet seit Jahren. (Fotos: Elisabeth Voß)

In Pandemiezeiten hat der Trend zum Homeoffice rasant zugenommen, so dass sich die Frage stellt, wie sinnvoll die Errichtung neuer Bürohäuser überhaupt ist. Die Bahn steht jedoch zu ihrer Aussage, „durch die Anmietung des noch zu bauenden Gebäudes im Gasometer dort 2.000 Büroarbeitsplätze einzurichten“. Im Gasometer will sie ihre „Digitale Schiene Deutschland“ unterbringen, „die eine völlig neue Steuerung des Bahnbetriebs durch Vernetzung von Daten von Infrastruktur und Fahrzeug ermöglichen wird, wie auch Entwicklungen in den Bereichen KI, Blockchain und Data Lakes für den Bahnsektor. In diesen Zukunftsfeldern werden auch die noch einzustellenden Beschäftigten arbeiten.“

Die Argumentation mit neuen Arbeitsplätzen für Berlin ist nur begrenzt nachvollziehbar, denn die meisten Beschäftigten werden von anderen Standorten in den Gasometer umziehen. Neue Bürogebäude in attraktiven Innenstadtlagen könnten Leerstände und Verödung an anderer Stelle vorantreiben, während es in den bereits hochverdichteten Vierteln zu weiteren Belastungen für Mensch und Natur kommt. Sollten nicht gerade die schönsten Orte und Gebäude dieser Stadt für die BerlinerInnen da sein und nicht dem Profit geopfert werden?

Ergebnisoffene Abwägung?

Auf ihrer Website hat die BI die Stellungnahme des Landesdenkmalamts als Träger öffentlicher Belange veröffentlicht. Sie enthält ein klares Nein zur Höherbebauung. „Die Stellungnahmen sind eindeutig“, schreibt der Tagesspiegel am 2. März 2021. „Sowohl das Landesdenkmalamt als auch die Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Naturschutz, der sieben Umweltverbände angehören, lehnen den beinahe kompletten Innenausbau des Schöneberger Gasometers ab.“

Stadtrat Oltmann verkündete beim Stadtentwicklungsausschuss am 10. März als „Ergebnis“ der Bürgerbeteiligung, dass 731 Stellungnahmen aus der Öffentlichkeit eingegangen seien – eine ungewöhnlich hohe Beteiligung – von denen sich 52 Prozent „positiv zu dem Entwurf und den damit verbundenen Entwicklungen auf dem Euref-Campus“ geäußert hätten. Auf Anfrage teilte das Bezirksamt mit, dass es möglich sei, mehrere Stellungnahmen abzugeben. Es könnte also sein, dass sich weniger Personen beteiligt haben. Jedoch war das öffentliche Interesse groß. Sowohl die Initiative „Schöneberger Kiezpalaver“ als auch die BI „Gasometer retten!“ haben ihre Bedenken ausführlich veröffentlicht. Kurz vor Ablauf der Auslegungsfrist hatte Reinhard Müller noch um „positive Stellungnahmen“ gebettelt, wie der Tagesspiegel am 23. Februar berichtete. Die Zeitung zitiert den Vorhabenträger mit der Behauptung, „dass 2.000 innovative und neue Arbeitsplätze rund um die Energie- und Mobilitätswende in Berlin geschaffen werden“.

Bei der nun folgenden Abwägung der Einwendungen geht es allerdings nicht um Mehrheiten, sondern um die Stichhaltigkeit der Argumente. Laut Oltmann wird die Abwägung durch die Planergemeinschaft vorgenommen, die auch den B-Plan-Entwurf erstellt hat – auf Rechnung des Bezirks, wie er auf eine Anfrage der Bezirksverordneten Christine Scherzinger (Die Linke) mitteilte. Ob das Abwägungsergebnis angesichts des bereits abgeschlossenen Mietvertrags der Deutschen Bahn mit Reinhard Müller wirklich ergebnisoffen von denjenigen durchgeführt wird, die diesen B-Plan erstellt haben, im Auftrag eines Stadtrats, der die Höherbebauung sehr deutlich befürwortet? „Es geht darum, dass der Stadtrat den vielfältigen kritischen Argumenten der Nachbarschaft Beachtung schenkt und nicht als Marketingbeauftragter Müllers agiert. Das ist nicht die Aufgabe eines Stadtrates“, betont Scherzinger. Am Ende muss die Bezirksverordnetenversammlung entscheiden – über das Abwägungsergebnis und den Bebauungsplan – und damit auch eine Haltung zur Kritik der Träger öffentlicher Belange und der Nachbarschaft einnehmen.

Elisabeth Voß

Transparenzhinweis: Die Autorin ist Bürgerdeputierte (sachkundige Bürgerin) im Stadtentwicklungsausschuss Tempelhof-Schöneberg und arbeitet als Parteilose mit der Fraktion Die Linke zusammen. Ihre Stellungnahme zum B-Plan hat sie auch in ihrem Freitag-Community-Blog veröffentlicht.

Weitere Informationen: www.gasometer-retten.de

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