Wasser oder Leben

Aus DER RABE RALF Oktober/November 2018, Seite 16

Woher werden die ersten europäischen Umweltflüchtlinge kommen? Ein Bericht aus Spanien

Im weit entfernten Indien oder anderen sogenannten Dritte-Welt-Ländern zerstören westliche Firmen Grund, Boden und das Leben der Einheimischen. Das hören wir immer wieder und es trifft im besten Fall doch nur unsere Moral. Doch was, wenn das Gleiche vor unserer Haustür geschieht?

Die Sierra del Segura und die Sierra de Cazorla sind Mittelgebirge im Südosten Spaniens. Sie beherbergen zum Schutz ihrer artenreichen Fauna einen 2.000 Quadratkilometer großen Naturpark, ein Biosphärenreservat der Unesco, Schutzgebiete für Vögel und sind Teil des europäischen Netzwerks Natura 2000. Die Gebirgszüge gehören zu den Betischen Kordilleren, die sich von Cadiz in Andalusien über Murcia und Alicante bis zur Region Valencia erstrecken.

Was die gesamte, 600 Kilometer lange und bis zu 150 Kilometer breite Region vereint, ist das staatlich unterstützte Programm zur Ausbeutung ihrer reichen fossilen Wasserressourcen. Damit soll der unstillbare Durst der immer weiter wachsenden Küsten-Landwirtschaft befriedigt werden – auch in Zeiten von Dürre.

Der spanische „Garten Europas“

Denn an Spaniens Mittelmeerküsten erstreckt sich der sogenannte „Garten Europas“. Bis ans Meer reiht sich Gewächshaus an Gewächshaus, im Flachland ziehen sich Obstbäume bis zum Horizont, und die Olivenhaine klettern die Berge hinauf.

Mehr als 2.000 Jahre wurde hier mit künstlicher Bewässerung gewirtschaftet, ohne das dynamische Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur zu zerstören. Doch heute reicht das Wasser nicht mehr für alle. Was ist passiert?

Neue, bewässerte Obstbäume in der Wüste. (Foto: Nora Rotter)

Mehr und mehr Flächen, die früher ohne Bewässerung bepflanzt oder naturbelassen waren, werden illegal bewässert. Was illegal beginnt, wird schnell legalisiert.

Die mit Tröpfchenbewässerung bewirtschaftete Fläche wächst in rasender Geschwindigkeit, und sie wird nun ohne Ruhephase bepflanzt, um bis zu dreimal im Jahr zu ernten. Natürlich steigt damit auch der Wasserbedarf.

Und nicht nur das, es wird auch noch auf wasserintensiven Anbau gesetzt. Selbst die Oliven- und Mandelplantagen, die seit Jahrtausenden ohne künstliche Bewässerungssysteme auskamen, werden nun mit Schläuchen versehen, damit sie mehr Ertrag bringen. Ein mit Wasser versorgter Hektar Land hat sieben- bis achtmal mehr wirtschaftlichen Wert als ein Hektar im Trockenfeldanbau.

Auch der zunehmende Tourismus an der Küste verbraucht immer mehr Wasser. Mitten in der Wüste laden die perfekt gepflegten grünen Rasenflächen der Golfplätze wie Oasen zum Verweilen ein. In Richtung Mittelmeer lauern hinter jeder Kurve großzügige Ferienresorts. Und dennoch verbrauchen die Touristenattraktionen nur den kleineren Teil des Wassers, das eigentlich nicht mehr vorhanden ist.

Mit 80 Prozent verschlingt die Landwirtschaft den größten Anteil und fordert stetig mehr. Dieser große Wirtschaftszweig trägt in Spanien heute jährlich rund elf Milliarden Euro zum Bruttoinlandsprodukt bei. Und der Export soll stetig steigen.

Tomaten für Deutschland – auch im Winter

Ein Viertel der Obst- und Gemüseproduktion Spaniens geht über deutsche Ladentische. Kaum jemand möchte heute auf Tomaten im Winter verzichten und nur saisonal und regional essen. Für den Winter vorzusorgen und einzukochen ist out, mediterrane Küche ist in, das ganze Jahr über. Doch damit unterstützen die Konsumenten den herannahenden Kollaps des europäischen Südens, egal ob sie konventionell oder bio kaufen.

Zu dem hohen Wasserkonsum kommen die periodischen Dürrezeiten, die den Süden Spaniens etwa alle elf Jahre für die Dauer von drei Jahren heimsuchen. Wie kann man in solchen Zeiten den Lebensmittelexport steigern wollen?

Unter der Franco-Diktatur wurden im ganzen Land Stauseen angelegt. Außerdem begann 1966 der Bau des Aquädukts für den Tajo-Segura-Kanal. Der Tajo, einer der größten Flüsse der Iberischen Halbinsel, der in Portugal in den Atlantik mündet, wird nördlich von Toledo angezapft. Bis zu 80 Prozent des Flusswassers werden durch 400 Kilometer lange Rohre in den im Südosten Spaniens entspringenden Fluss Segura eingespeist. Dieser fließt nach Murcia und bringt nun mehr Wasser in den „Garten Europas“. Der stattliche Tajo hingegen verödet hinter der Abzweigung durch das Aquädukt zu einem Schlammloch.

Dürre-Brunnen schieben das Problem auf

Doch auch das Wasser des Kanals reicht der Intensiv-Landwirtschaft nicht aus. Deshalb erarbeitete der spanische Wasserwirtschaftsverband CHS einen Sonderplan für Dürrezeiten, um Einschränkungen für Umwelt und Gesellschaft zu vermeiden.

Die Umsetzung des zunächst vernünftig klingenden Plans erzeugt aber gravierende Probleme und Konflikte. Der Lösungsansatz ist nicht zu Ende gedacht, verschiebt das Problem nur und führt langfristig zu einer Verschlimmerung. Denn das Patentrezept des CHS ist das Anzapfen der Grundwasservorkommen durch sogenannte Dürreperioden-Brunnen, die „pozos de sequía“, bis hin zur kompletten Ausschöpfung.

Das läuft so: Der Wassernotstand wird ausgerufen, gegebenenfalls werden Grundstücksbesitzer enteignet und innerhalb eines Monats wird ein Brunnen gebaut, der das Wasser in den nächsten größeren Fluss leitet. Die dafür erforderliche geologische und ökologische Prüfung des Geländes wird mithilfe des Notstandgesetzes umgangen.

Die ersten Dürre-Brunnen wurden in den 1980er Jahren an der Küste von Cartagena gebohrt. Dann wurde Spanien Mitglied in der Europäischen Union und erhielt den Auftrag, den Norden des Kontinents mit günstigem Gemüse zu versorgen. Während der Trockenzeit in den 1990ern musste man schon weiter landeinwärts nach Wasser suchen. Diese Grundwasservorkommen waren zu Beginn des neuen Jahrtausends ebenfalls erschöpft.

Wo früher Reis angebaut wurde, erstreckt sich heute, abgesehen von den Plantagen, eine Wüste. Der Fluss Segura endet nicht mehr in seinem ursprünglichen Delta an der Mittelmeerküste, er versiegt auf den Feldern. Hin und wieder fließen ungefilterte Abwässer und Plastikmüll durch seinen ausgetrockneten Endlauf. Die Brunnen fördern dort nur noch nachgesickertes Meerwasser, nitratreich und salzig.

Inzwischen befinden wir uns mitten in der nächsten Trockenperiode. Da in Zeiten des Überflusses nicht an die vorhersehbare Dürrezeit gedacht und keinerlei Vorsorge zum Wassersparen getroffen wurde, verschärft sich nun die Notlage von Jahr zu Jahr. Die Entsalzungsanlagen am Meer, obwohl schon gebaut, werden nicht in Gang gesetzt, weil die Agrar-Industrie das hochwertige, kristallklare Wasser der neu gebauten Brunnen mit den letzten Wasserreserven der Berge zu wesentlich günstigeren Preisen bekommt.

Wasserreserven mehrfach übernutzt

Somit sind wir zurück in der Sierra del Segura und der daran anschließenden Gebirgskette, die die mediterrane Küstenregion vom spanischen Inland trennt. Hier gibt es die letzten einfach und billig zu erschließenden Wasservorkommen der Region. Allein in der Sierra del Segura sollen mindestens 24 neue Brunnen gebohrt werden, damit ihr Wasser in den Fluss Segura gespeist werden kann.

Die offiziell 45 schon bestehenden und kontinuierlich betriebenen Brunnen in den Bergen wurden in den 1990er Jahren und zwischen 2005 und 2010 unter dem staatlichen Notdekret gebohrt, häufig ohne die gesetzlich vorgeschriebenen geologischen und ökologischen Risikoanalysen, die auch später nie nachgereicht wurden.

Die Dürrebrunnen in den Bergen fördern pro Jahr etwa die Füllmenge eines Fußballstadions. (Fotos: Nora Rotter)

Viele Wasserreservoire, teilweise mit fossilem Grundwasser, werden schon zu 400 Prozent übernutzt, das heißt, man pumpt viermal mehr Wasser ab, als sich durch den natürlichen Wasserkreislauf nachbildet – mit entsprechenden Folgen für die betroffene Region.

Noch sprudelt das klare Wasser hier aus vielen kleinen munteren Quellen, die Flüsse Mundo und Segura haben hier ihren Ursprung, die Biodiversität ist einmalig und wird sogar von der Unesco geschützt. Etwa 20.000 Menschen leben in kleinen Dörfern, eingebettet in die natürlichen Gegebenheiten. Der immer mehr gefragte Öko-Tourismus steckt hier noch in den Kinderschuhen. Doch für die Städter des Umlandes ist dieses Naturidyll schon lange kein Geheimtipp mehr, im Sommer und an Feiertagen sind die zahlreichen Landgasthäuser oft weit im Voraus ausgebucht.

Wer hier nicht vom Tourismus lebt, bewirtschaftet seine Oliven- und Mandelbäume oder wässert seinen Bauerngarten mit dem traditionellen arabischen Bewässerungssystem. Die Trinkwasserversorgung der Städte bezieht ihr Wasser aus den lokalen Quellen und aus den Stauseen. Die Stauseen sind aber in Zeiten der Trockenheit fast leer, da die Schleusen bei einem Wasserstand von 16 Prozent der Gesamtkapazität wieder weit geöffnet werden und ihr Wasser an die Küstenregionen abgeben.

Viele der Quellen sind bereits versiegt. Offiziell wird die Schuld dem Klimawandel und dem fehlenden Regen zugeschoben. Doch die Niederschläge sind laut den Wetteraufzeichnungen kaum zurückgegangen. Das Jahr 2016 endete sogar mit einem extrem regenreichen Winter.

Abpumpen geht weiter dank Notstandsgesetzen

Die Übernutzung der lokalen Wasservorkommen durch die Küstenregionen führt in den Bergen zu einer schleichenden ökologischen und sozialen Katastrophe. Doch wird man vor dem schlussendlichen Knall nur ein leises Flüstern in der Gesellschaft hören? Wird der Zusammenbruch die Region ohne Vorankündigung treffen?

Es schweben vor allem Mutmaßungen und Fragen durch den Raum. Wie viele Dürrebrunnen gibt es schon? Was hat es mit dem laufenden Gerichtsverfahren um das murcianische Regenwasser auf sich, in dem eine extrem hohe Metallbelastung gemessen wurde? Hängen die erhöhten Werte vielleicht mit dem Einsatz von „Wetterkanonen“ zusammen, die die wertvolle Ernte vor Starkregen oder Hagel retten sollen, oder ist das nur eine Verschwörungstheorie? Warum stehen ehemalige führende Persönlichkeiten des Wasserwirtschaftsverband CHS wegen Umweltverschmutzung vor Gericht? All dies hat das Potenzial für einen erfolgreichen Krimi.

Aber Fakt ist: Wo Brunnen gebaut werden, von denen jeder einzelne etwa eine Million Kubikmeter Wasser pro Jahr fördert, wandelt sich die Landschaft zur Wüste. Obwohl in nur etwa drei von elf Jahren meteorologische Trockenzeit herrscht und obwohl die Berggebiete größtenteils Naturschutzgebiete sind, kann das Abpumpen dank der Notstandsgesetze genehmigt und fast immer durchgesetzt werden.

Das Stauseen-Kanal-System befindet sich seit 2004, dem Beginn der Aufzeichnungen, die meiste Zeit im hydrologischen Notstand. Die Trockenheit ist durch die drastische Ausweitung der bewässerten Flächen chronisch geworden.

Die frühere konservative Regierung Spaniens hat die Naturschutzprobleme umgangen, indem das Landwirtschafts- und Umweltministerium aus den Ergebnissen der eigenen Umweltverträglichkeitsprüfung vom Mai dieses Jahres seltsame Schlüsse zog. Es heißt, dass durch die Brunnen keine Schäden am Ökosystem entstanden seien – ja, sie würden sogar dem ökologischen Gleichgewicht nützen. Was wird die neue sozialdemokratische Regierung unternehmen? Die Vorzeichen stehen nicht allzu gut.

Umweltkatastrophe für Billig-Lebensmittel

Diese Region wird dem Wirtschaftswachstum in seiner brutalsten Art zum Opfer fallen. Vorhersehbar ist das Ende ihres Artenreichtums, der wilden Schönheit, des kristallklaren Wassers in tausend Rinnsalen, der grasenden Schafe zwischen den leuchtenden Mohnblumen und der sich im Schatten eines alten Olivenbaums ausruhenden Schäfer, aber auch das Ende der Gemeinschaften und Dörfer. Das Mar Menor, die einzige Salzlagune Europas an der Küste von Murcia, früher ein Unterwasserparadies wie die Karibik und berühmt für seine Seepferdchen, wurde schon geopfert.

Und wofür das alles? Für immer mehr Tomaten zum Beispiel, die für drei Cent das Kilo an Ketchup-Fabriken verkauft werden. Bis zu 50 Prozent der Produktion werden weggeworfen, um die Preise zu stützen. Luft, Erde und Wasser werden mit Chemikalien verschmutzt und die Arbeiter wie Sklaven ausgebeutet.

Spanien als Hauptproduzent von Gemüse und Obst für Europa steht vor einer ökologischen, wirtschaftlichen und kulturellen Katastrophe – im Dienste unserer Billiglebensmittel. Wird das heutige Modell des Wirtschaftswachstums nicht geändert und nachhaltig umgebaut, wird es in den nächsten Jahrzehnten Wüsten hinterlassen. Und so ähnlich sieht es in der gesamten europäischen Mittelmeerregion aus. Deshalb werden Spanien, Portugal, Italien oder Griechenland voraussichtlich die ersten Umweltflüchtlinge Europas hervorbringen.

Nora Rotter

Weitere Informationen (spanisch): www.paisajesdelagua.wordpress.com – Pozos de sequía en el Segura


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