Die grüne Arche

Aus DER RABE RALF Juni/Juli 2023, Seite 3

Ein neuer Film über Wildpflanzenschutz in Deutschland

Elke Zippel hockt auf einer Wiese und sammelt Samenkapseln der Grauen Skabiose in eine Tüte, im Hintergrund sind Laubbäume.
Elke Zippel vom Botanischen Garten erntet Scabiosa-Samen im Tegeler Forst. (Foto: Heiderose Häsler)

Die zartrosa Pfingstnelken haben es recht gut geschafft. Bei der gelben Arnika sieht’s dürftiger aus. Am besten steht die Graue Skabiose. Die blühenden Ergebnisse in Szene zu setzen war spannender Höhepunkt aller Dreharbeiten. Über eine ganze Vegetationsperiode haben wir das bisher größte Schutzprojekt für Wildpflanzen in Deutschland, WIP-De, begleitet. Der Film lässt staunen über den enormen Aufwand, zeigt die Erfolge und auch die kleinen Rückschläge. In Berlin und Potsdam waren unsere Kameras, in Osnabrück und Mainz, in Regensburg. Die fünf Botanischen Gärten vereint ein sehr anspruchsvolles Ziel: Gefährdetes zu sichern, wieder aufzupäppeln, Verschwundenes zurückzuholen. Dem Artensterben aktiv und wissenschaftlich begleitet entgegenzuwirken.

92 Arten hat das Bundesamt für Naturschutz dafür ausgewählt – von Endemiten wie Bodensee-Vergissmeinnicht und Galmei-Stiefmütterchen bis hin zu Berg-Ahorn und Rotbuche. Alle gelten als „Verantwortungsart“. Ein für uns zunächst schwer zu fassender Begriff, der sowohl vom Aussterben bedrohte als auch allseits bekannte und häufige Arten umfasst. Eines aber haben alle gemeinsam: Hier liegt ein Schwerpunkt ihrer globalen Verbreitung. Und so hat Deutschland eine besondere Verantwortung für ihre Erhaltung.

Rettung fängt mit Tütchen an 

Mitte September 2021 im Tegeler Forst. Elke Zippel sammelt mit ihren Samentüten die braunen Körnchen von Scabiosa canescens ein, um sie im Botanischen Garten auszusäen und heranzuziehen. Schon viele Mini-Skabiosen sind in den Dünenhang gepflanzt worden. Mittlerweile ist hier ein ansehnliches Trockenrasenbiotop entstanden. Imposante, kräftige Skabiose-Pflanzen sorgen längst für Samen-Nachschub und werden „beerntet“ für die nächste Generation. „Wir haben inzwischen hier schätzungsweise über 10.000 Pflanzen, junge, kleine, große, blühende, nicht blühende“, erläutert Elke Zippel. „Der Erfolg ist da, die Wiederansiedlung, also eine Population aufzubauen, die sich von selbst dann auch wieder verjüngt“, begeistert sich die Botanikerin aus Berlin im Interview.

Anderswo ist das Sammeln aufwändiger. In Bingen am Rhein klettert Axel Schönhofer für die kleinen Hülsen des Haar-Ginsters über rutschigen Felsschotter. Andere waten durch schlammiges Wasser, um an das Zierliche Wollgras zu kommen, das auf einer Schwingmoor-Insel wächst. Ganz einfach dagegen hat es Daniel Lauterbach, der die Samen direkt vor der Haustür von der Arnika zupfen kann, in der Potsdamer Erhaltungskultur. Hier hat die alte Heilpflanze ein eigenes Beet. Sie soll zurück in die Lausitz, wo sie fast verschwunden ist. Alte Schriften belegen den einstigen Arnika-Reichtum der Moorwiesen nahe Bad Liebenwerda.

Ein Kameramann filmt den Botaniker, der auf einer Bank am Hang mit Blick auf den Oberrhein sitzt und die geernteten Samen notiert.
​Mit der Kamera am Oberrhein bei Bingen. Axel Schönhofer registriert die Samenernte genau. (Foto: Heiderose Häsler)

Rettungsarbeit kostet Zeit und sehr viel Mühe: Samen ernten, aussäen, Pflänzchen pikieren und im naturnahen Substrat heranwachsen lassen, feucht halten. Doch selbst das hat im heißen Sommer 2022 nicht geholfen. Die erste Arnika-Aussaat vom März ist vertrocknet, regelrecht verbrannt. Also Ende Mai ein neuer Versuch, der Naturpark Niederlausitzer Heidelandschaft wartet auf die Pflänzchen. Im November dann fahren 200 Stück in ihren Anzucht-Paletten Richtung Süden. Daniel Lauterbach auf die Frage, wie viele es in freier Natur schaffen: „Über alle Arten hinweg kann man sagen, etwa 30 Prozent, das ist eine normale und sehr gute Überlebensrate. Im ersten Jahr hat man die größten Verlustraten, wir können ja draußen nicht jede Pflanze gießen, das ist ja in der Landschaft verteilt, schwierige Standorte, die müssen allein klarkommen. Und wenn dann, so nach drei Jahren, etwa 30 Prozent übrigbleiben, ist das gut, sehr gut.“ Einige gelbe Arnika-Köpfchen zeigen sich wieder auf den einstigen Moorwiesen im Naturschutzgebiet Loben, gepflanzt wird hier seit mehr als zehn Jahren.

Schatzkammern der Botanik  

Was nicht gleich in die Erde kommt, wird eingelagert. In der Osnabrücker Saatgutbank sogar Duplikate der in allen Bundesländern gesammelten WIPs-Pflanzen-Samen. Damit, falls irgendetwas passiert, Ersatz da ist. Ehe sie für einen langen Schlaf eingefroren werden, beobachten wir die mühsamen Vorbereitungen. Sind beeindruckt, wie geschickt Silvia Oevermann mithilfe eines Backbleches die reifen von den unreifen Körnchen trennt, die vorher gereinigt und hinterher gewogen werden. Dann geht’s in die Trockenkammer. Höchstens fünf Prozent Restfeuchte darf das in Alu-Tüten eingeschweißten Saatgut haben, damit es möglichst lange überlebt. Nach den 20 Grad minus im Tiefkühlraum beschlägt unsere Kamera mächtig, als es zurück in die Augusthitze geht – für ein Gespräch mit Peter Borgmann, der ein Kartierungsportal entwickelt hat, in das alle fünf Verbundpartner ihre Funde und Daten eingeben können. So hat jeder Botanische Garten den Überblick über das gesamte Projekt.

Artenschutz-Rucksack und Tablet-Rallye  

In Mainz kümmert sich das Team um Ute Becker um die Bildung, entwickelt Artenschutz-Rucksäcke für Wald und Wiese oder ein Escape-Game als Tablet-Rallye zum Auffinden von Verantwortungsarten wie der Lanzettblättrigen Glockenblume, organisiert Weiterbildungen zu „Botschafter:innen für Artenschutz“. Die in Rheinland-Pfalz entwickelten Angebote stehen allen zur Verfügung. Auch die Keimungsprotokolle der Kollegen in Regensburg. Hier will man die Bedingungen für erfolgreiches Keimen bei jeder Art herausfinden. Denn bei den „Wilden“ ist das, anders als bei Nutzpflanzen, noch weitgehend unerforscht. Mit speziellen Röntgengeräten schaut Judith Lang in das Innere von Samen, ob sie zum Beispiel von Maden zerfressen sind. Für Tests zur Lebensfähigkeit schneidet sie Keimlinge mit dem Skalpell aus der Samenschale. In Keimschränken wird das Wachsen beobachtet. Manche Arten, wie die Graue Skabiose, brauchen es hell, der Gefleckte Aronstab keimt im Dunkeln. Manche mögen’s wärmer, andere kühl. Erkenntnisse, mit denen nun in den anderen Botanischen Gärten gearbeitet werden kann.

Zurück in die Freiheit 

In Berlin-Dahlem werden die im Beet herangezogenen Pfingstnelken in den Transporter geladen. Noch vor dem Winter sollen sie in den Waldboden bei Bad Freienwalde, zwischen Barnim und Oderbruch, wo Dianthus gratianopolitanus einst um Pfingsten herum die Hänge schmückte. Im Jahr 2000 hatte man kleine Vorkommen wiederentdeckt, seit 2015 werden Jungpflanzen von Elke Zippel und ihrem Team neu angesiedelt. Den Erfolg belegen im Frühjahr Aufnahmen von zartrosa Blüten.

Unser Film ist länger geworden als geplant, weil so viel zu zeigen und zu erzählen war. Auch über die schönen Wilden selbst: das kleine Vergissmeinnicht am Ufer des Bodensees, den Zwerg-Lerchensporn im Hinterland der Oder, das Galmei-Veilchen auf schwermetallhaltigen Böden nahe dem Teutoburger Wald, die alten Buchen im Weltnaturerbe Grumsin in der Uckermark.

Heiderose Häsler 

„Die grüne Arche“ ist auf diversen Veranstaltungen und auf der Projekthomepage zu sehen: www.wildpflanzenschutz.de

Der Film wurde im Rahmen des Bundesprogramms Biologische Vielfalt gefördert.

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