Der Wolf aus ökologischer Sicht

Aus DER RABE RALF Juni/Juli 2024, Seite 12

Wer die Biodiversität in Mitteleuropas Kulturlandschaften schützen will, sollte nicht auf Wölfe setzen

Schafherde im Oberwallis: Auch in den Alpen gibt es Konflikte. (Foto: Gereon Janzing)

Etwa seit der Jahrtausendwende gibt es in Mitteleuropa wieder Wölfe. Das führt zu vielen, oft aggressiven Auseinandersetzungen darüber, wie man dies bewerten soll. Es ist ein weiterer Faktor, der Menschen spaltet und gegeneinander aufstachelt, neben Religionen oder Ernährungslehren.

Die Zahlenangaben zu den Wölfen in Deutschland divergieren je nach Quelle beträchtlich. Die meisten Wölfe sind in Norddeutschland zu finden. Naturschutzorganisationen wie der NABU setzen sich für die grenzenlose Vermehrung der Wölfe ein, ohne zu verstehen, dass unbegrenztes Wachstum in einem begrenzten System zum Kollaps führt. Wie viel Prozent Hybriden (Kreuzungen mit Haushunden) es gibt, ist unbekannt. Das Senckenberg-Institut diagnostiziert bei Schafsrissen oft Hunde, was auf Hybriden hindeuten mag. Jedenfalls ist die Zunahme von Hunderissen proportional zur Zunahme der Wölfe nicht plausibel.

Kein mystisches Krafttier

Ende der 1990er Jahre hörte ich bei einer gemeinsamen Veranstaltung von BUND und NABU einen Vortrag über den ökologischen Wert der Wanderschäferei. Der Referent rief dazu auf, Lammfleisch aus Wanderschafhaltung zu essen. An Naturschutz interessierte Menschen wissen das bereits. Naturschützer essen Produkte aus lokaler Weidehaltung, weil sie damit die Biodiversität fördern. Auch im Biologiestudium an der Universität wurde das behandelt. Als naturverbundener Mensch tut man gut daran, Schäfern Dank auszusprechen für ihre wertvolle Arbeit.

Da ich jahrelang im ehrenamtlichen Naturschutz aktiv war, zeitweise in leitender Funktion, und sowohl Zigtausende von wandernden Erdkröten und Grasfröschen über die Straße trug als auch Biotope pflegte, spreche ich beim Thema Naturschutz nicht nur aus grauer Theorie. Zudem habe ich als Hirte mit ganz verschiedenen Tieren gearbeitet und kenne Weideökosysteme gut. Zusammen mit biologischen, kulturgeschichtlichen und agrarpraktischen Fakten erfährt man Näheres dazu in meinem Buch „Naturschutz auf dem Teller: Warum Weideprodukte auf jeden Speiseplan gehören“ (Rabe Ralf Februar 2024, S. 27).

Nun dringt der Wolf als neuer Akteur in die Ökosysteme ein. Viele Menschen, die fernab der Natur leben, begrüßen seine Ausbreitung wegen seiner mystischen Bedeutung. Weidehalter, vor allem Schäfer, die es ohnehin schon schwer haben durch die Billigkonkurrenz aus zweifelhaften Haltungsbedingungen, werden vor ganz neue Herausforderungen gestellt. Für sie ist der Wolf kein mystisches Krafttier, sondern ein real existenter Karnivore. Immer wieder reißen Wölfe Schafe, im „Blutrausch“ einen größeren Teil der Herde. Oft findet ein Schäfer oder eine Schäferin etliche der eigenen Tiere schwer verwundet mit Höllenschmerzen vor und muss sie erlösen. Das ist nicht nur wirtschaftlich ein Verlust, es ist auch psychisch eine schwere Belastung. Viele Schäfer geben deprimiert auf.

Ziege und Schaf. (Foto: Gereon Janzing)

Schäfer haben keinen Achtstundentag

Viele Leute, die die Natur vorrangig aus dem Internet kennen, sagen, wenn ein Wolf Schafe reißt, sei das eben „Natur“. Die Schäfer kennen dagegen die Natur aus ihrem Alltag und wissen: In Mitteleuropa gibt es nicht die ausgedehnte Wildnis, in der sich Großprädatoren wie der Wolf wohlfühlen können. Es ist Kulturlandschaft. Zu deren Biodiversität tragen die Schäfer bei. Dafür verdienen sie höchste Wertschätzung, nicht zusätzliche Arbeitserschwerung.

Auch die Alpwirtschaft im Hochgebirge pflegt Ökosysteme von großer Biodiversität. Auch sie ist bedroht. Wölfe reißen dort Ziegen, Rinder, Pferde, alles, was erreichbar ist. Die gesamte Alpwirtschaft ist in ernsthafter Gefahr.

Wenn die Wölfe keine Gegenwehr bekommen, verlieren sie die Scheu vor den Menschen und nehmen sie schlussendlich auch als Beute wahr. Viele Menschen in Wolfsgebieten trauen sich nicht mehr alleine in den Wald. Auch in Städten trifft man schon Wölfe. Das viel dünner besiedelte Schweden hat mehr Platz für Wölfe als Deutschland, aber viel weniger Wölfe, da es ein aktives Wolfsmanagement betreibt: Wölfe werden durch Abschüsse limitiert, während sie in Deutschland ungehemmt immer mehr werden.

Der NABU, der 2020 in Schleswig-Holstein eigene Wildpferde qualvoll verhungern ließ, verkauft lukrative Wolfspatenschaften. Er verbreitet den Mythos, man müsse nur Herdenschutz betreiben, dann sei der Wolf mit Weidewirtschaft kompatibel. Viele Menschen, die nie mit Herden gearbeitet haben, werden dadurch gegen die Herdentierhalter aufgestachelt, in dem naiven Glauben, die Schäfer seien nur zu faul zum Herdenschutz. Dabei arbeiten sie sicher viel weniger als jeder Schäfer, vermutlich mit Acht-Stunden-Tag und freiem Wochenende.

Praxisferne Vorschläge

Ein Vorschlag ist das Einzäunen. Damit ein Zaun für einen Wolf unüberwindbar ist, muss er über drei Meter hoch und fest im Boden verankert sein. Ein solcher Zaun ist vielerorts nicht erlaubt und in der Wanderschäferei gar nicht machbar. Er würde die Wildkorridore versperren, Wildtiere würden in Schutzzäunen verenden. Solche Zäune kann nur fordern, wer gleichgültig gegenüber Natur und Tieren ist.

Auch Herdenschutzhunde werden vorgeschlagen. Es gibt Fälle, wo sie einsetzbar sind. Doch sie sind ein immenser Kostenfaktor, bei einer kleinen Herde kaum zu stemmen. Wenn man im Sommer auf der Alp Herdenschutzhunde hält, fragt sich, wer die Hunde im Winter versorgt. Hier machen Theoretiker vom Lehnstuhl weltfremde Vorschläge, statt Praktikern zuzuhören, die wissen, was wirklich funktioniert. Es fehlt die Achtung vor den Menschen. Auch in Touristengebieten sind Herdenschutzhunde problematisch, denn sie sind kaum mit Menschen kompatibel. Auf Deichen, die durch Schafbeweidung instand gehalten werden, sind Herdenschutzhunde kaum einsetzbar. In Münster verbot ein Gericht einer Halterin von Herdenschutzhunden, dass sie nachts bellen. Wer sorgt dafür, dass die Wölfe nur tagsüber kommen?

Herdenschutz ist kostspielig und eine aufwändige Mehrarbeit für das Personal. Nachdem ich auf einer Alp täglich 14 Stunden gearbeitet habe, ohne einen freien Tag, sehe ich nur begrenzte Möglichkeiten, die Arbeit noch auszuweiten. Da sollten Personen, die nie mit Herdentieren gearbeitet haben, nicht noch Forderungen an die Hirten stellen. Damit richten sie das Hirtenwesen, ja die gesamte Weidetierhaltung zugrunde – zugunsten reiner Stallhaltung.

Symbolischer Naturschutz

Bei all diesen künstlich gemachten Schwierigkeiten kommt vielen Betroffenen inzwischen der Verdacht, dass hinter der Verhätschelung des Wolfes durch Naturschutzorganisationen Interessen stehen, die die Weidewirtschaft, vielleicht die ganze Nutztierhaltung zerstören wollen zugunsten von Laborfleisch und industriellen veganen Imitaten. Die Frage, ob das nur eine Verschwörungstheorie ist, wird die Menschen wieder spalten. Tatsache ist: Wolfsschutz ist eine Kriegserklärung an Weidewirtschaft und Naturschutz.

Der einzige wirksame Herdenschutz ist das Eindämmen der Wölfe auf ein ökologisch tragfähiges Maß, das in der Kulturlandschaft vielerorts bei null liegt. Wolfsschutz ist hierzulande kein Naturschutz, sondern Realitätsflucht. Man kann nicht die Biodiversität an einer einzelnen symbolträchtigen Art festmachen.

Gereon Janzing

Weitere Informationen: www.mitfreudeselbermachen.info

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